Handwerk Baden-Württemberg
“Die Berufsorientierung an den Schulen muss näher an der Berufspraxis erfolgen”
Wie können Lehrkräfte dafür sorgen, dass sich mehr junge Menschen für eine Ausbildung entscheiden? Und wie können überholte Klischees im Handwerk überwunden werden? Antworten von Karin Pöhler, HANDWERK BW.
Frau Pöhler, in einer gemeinsamen Presseerklärung forderten HANDWERK BW, der Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag und der Unternehmerverband UBW Ende Februar 2024 von der Politik, mehr für eine bessere Berufsorientierung an Schulen zu tun. Die Lehrkräfte müssten befähigt werden, Schülerinnen und Schüler “ergebnisoffen zu beraten” und “angemessen auf die Arbeitswelt von morgen vorzubereiten”. Ist es in Zeiten eines sich verschärfenden Lehrermangels denn klug, alle Hoffnungen allein auf eine bessere BO an den Schulen zu setzen?
Wir setzen ja nicht nur auf die BO an Schulen, sondern bieten Etliches in eigener Regie als Handwerk. Aber ja, die Berufsorientierung an den Schulen muss noch weit näher an der Berufspraxis erfolgen und das über alle Schulformen hinweg. Dazu müssen die zuständigen Lehrkräfte auch befähigt werden. In der dualen Ausbildung gibt es eine Vielzahl spannender und anspruchsvoller Berufe sowie flexible, absolut attraktive Karrieremöglichkeiten. Auch ein Auslandsaufenthalt ist in der Ausbildung möglich, und Zusatzqualifikationen genauso wie eine Verkürzung der Ausbildungszeit. Das sollte in der Schule transportiert werden. Da Lehrkräfte Profis in der Vermittlung ihres Unterrichts sind, stehen die Betriebe, Kammern und Bildungszentren des Handwerks gerne als Partner für die Berufsorientierung zur Verfügung.
Sie sind Leiterin des Förderprojekts “Frauen im Handwerk”, mit dem Betriebe und Bildungseinrichtungen unterstützt werden sollen, mehr Frauen ins Handwerk zu bringen und sie dort auch zu halten. Das Teilprojekt 3 heißt: “Klischeefreie Berufsorientierung”. Was steckt dahinter?
Der Titel ist Programm. Es schwirren leider noch immer so viele überholte Klischees vom Handwerk an sich und von „Frauen im Handwerk“ im Speziellen in den Köpfen herum. Da müssen und wollen wir etwas dagegensetzen. Neben dem Sachverhalt, dass das Handwerk absolut modern und technologisch hoch entwickelt aufgestellt ist, wollen wir die persönlichen Stärken und Interessen in den Mittelpunkt der Berufswahl rücken – nicht überkommene Klischees oder Ranglisten von „typischen“ Berufen. „Role Models“, also die Vielzahl an Handwerkerinnen, die in Clips auf Social Media, im Alltag in den Betrieben, als Unternehmerfrau oder Ausbildungsbotschafterin in Schulen von ihrer Berufswahl, ihrer Überzeugung und ihrer Freude am Beruf berichten, sind hier eine großartige und glaubhafte Unterstützung – und räumen mit Klischees auf!
Ein Teilprojekt sieht vor, ein Mentorinnen-Netzwerk aufzubauen, bei dem Handwerkerinnen und Führungskräfte im Handwerk weibliche Auszubildende beraten, hier ist also das Handwerk selbst gefragt. Wie kommt die Idee in den Betrieben an?
Die Resonanz auf das Angebot ist sehr gut. Vor allem die Teilnehmerinnen selbst sehen die „Tandems“ als Bereicherung. Das niedrigschwellige, persönliche Coaching angehender Handwerkerinnen ist ein zielführendes Onboarding, gerade im gewerblich-technischen Handwerk bzw. dort im noch männerdominierten Umfeld. Inzwischen ist aus dem Mentorinnen-Netzwerk ein beliebter Stammtisch entstanden, bei dem es Inhalte, Austausch und jede Menge Spaß gibt. Da gibt es Raum für persönliche, berufliche und unternehmerische Themen. Die Betriebe profitieren vom Netzwerk, weil das Coaching und Netzwerken die Frauen als Fachkräfte stärkt und hält – genau unser Ziel.
Welche Möglichkeiten gibt es eigentlich überhaupt für Schüler:innen, sich bei Azubis oder fertig ausgebildeten Handwerker:innen in der Umgebung über Vor- und Nachteile eines bestimmten Berufes zu informieren?
Gute Frage. Also das beginnt bei den Handwerksbetrieben nebenan – einfach hingehen und anfragen! Aber natürlich gibt es auch planbare Möglichkeiten. Über die Initiative ‚Ausbildungsbotschafter‘ kommen z. B. Azubis in Schulklassen und stellen ihre Berufe vor. Viele junge Handwerkerinnen präsentieren sich auch auf www.handwerk.de oder auf verschiedenen Instagramkanälen. Das ist zwar virtuell, aber die Reels sind nah dran und geben reale Einblicke in die Berufe, die Anforderungen und die Arbeitswelt inklusive Werkstatt, Werkzeug und Baustelle oder Baufahrzeug. Ob ein Beruf der richtige ist, findet man aber vermutlich doch am besten heraus, wenn man ein Praktikum macht. Freie Praktikumsplätze in der Region finden Schülerinnen und Schüler unter www.lehrstellen-radar.de oder bei den Praktikumswochen. Zudem bieten die Handwerkskammern viele weitere BO-Angebote vor Ort, um Berufe mit ihren Anforderungen und Vorteilen auszuprobieren.
Mehr Frauen in Handwerksberufe zu bringen, könnte ein vielversprechender Weg sein, das Fachkräfteproblem in den Griff zu kriegen. Doch dann lese ich, dass es etwa für eine selbständige Meisterin keinen rechtlichen Anspruch auf Mutterschutz und Mutterschaftsgeld gibt. Das könnte ja abschreckend wirken.
Das ist ein kritischer Punkt, ich stimme Ihnen absolut zu. Wir setzen uns als Branchenverband auf politischer Ebene klar für eine gleichwertige Absicherung von Selbstständigen ein. Das ist eine wichtige Rahmenbedingung, damit noch mehr Frauen den Weg ins Handwerk und es dort dann in Führungspositionen schaffen. Die Betriebe können gerade als KMU oftmals flexible Lösungen bei den Arbeitsbedingungen anbieten. Bei den Handwerkskammern bieten die „BeraterInnenfür Personalentwicklung“ ihre Unterstützung sowie Infos aus meinem Projekt für Unternehmen und MitarbeiterInnen an, auch zu den Themen Vereinbarkeit und Absicherung.
Was können Projekte und Angebote ausrichten, um in den Betrieben die Bedingungen für Azubis zu verbessern? Haben Sie da Möglichkeiten?
Zum Thema Ausbildungsqualität wird viel gemacht. Die Kammern unterstützen in allen konkreten Belangen der Ausbildung, veranstalten Seminare und stehen im Kontakt mit den Betrieben. In meinen Projekten bieten wir auch individuelle Beratungen für AusbilderInnen an, wenn es konkrete Probleme in der Ausbildung gibt. Ein voller Erfolg ist die „Digitale Kaffeepause für Ausbildungspersonal“, die wir regelmäßig zu Themen rund um die betriebliche Ausbildung anbieten. Es ist eine super Resonanz, wie viele AusbilderInnen sich die 40 Minuten Zeit nehmen für alltagsrelevante Themen! Gerade bezogen auf junge Frauen in technischen Berufen schulen wir auch intern unsere hauptamtlichen MitarbeiterInnen, damit diese wiederum die Betriebe zielgerichtet bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen unterstützen können, damit Azubis im Team willkommen und gut ausgebildet sind!
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Pöhler!
https://handwerk-bw.de/positionen/fachkraefte/frauen-im-handwerk