Ausbildungsvergütung
“An erster Stelle steht die Frage, ob ein Berufsfeld attraktiv ist”
Was kann mehr junge Menschen dazu zu bewegen, eine Lehre aufzunehmen? Ein Weg könnte sein, den Gesetzen der Marktwirtschaft zu folgen und das Interesse mit höheren Ausbildungsvergütungen anzukurbeln. Was gerade auch die Gewerkschaften seit Jahren fordern, scheint jetzt allmählich Realität zu werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Wir sprachen mit Prof. Dr. Thorsten Schulten, er ist Leiter des WSI-Tarifarchivs.
Herr Prof. Schulten, im Zuge einer Auswertung haben Sie und Ihr Team herausgefunden, dass es aktuell mit den Löhnen für Azubis schneller als bisher bergauf geht. Gilt das für alle Berufsgruppen?
In der Tendenz gilt das für fast alle Berufsgruppen, aber in bestimmten Branchen sind die Ausbildungsvergütungen besonders stark angestiegen. Wir sehen das insbesondere in Branchen, die bis vor wenigen Jahren noch eine sehr niedrige Vergütung gezahlt haben, wie z.B. das Bäckerhandwerk, das Gastgewerbe und andere Handwerksbereiche. Die Ausbildungsvergütungen sind hier in den letzten fünf Jahre teilweise mehr als doppelt so stark angestiegen wie die Löhne und Gehälter in der jeweiligen Branche.
Warum hat es so lange gedauert, bis hier Bewegung in die Sache kam? Dass wir ein demografisches Problem haben und sich immer mehr junge Menschen von der Ausbildung abkehren, ist ja seit vielen Jahren bekannt.
In der Tat hat sich Anzahl der unbesetzten Ausbildungsplätze bereits seit Beginn der 2010 Jahre kontinuierlich erhöht. In den letzten Jahren ist jedoch die Schere zwischen unbesetzten Ausbildungsplätzen und jungen Menschen ohne Ausbildungsplatz noch einmal besonders stark auseinander gegangen. Damit steigt natürlich die Bereitschaft der Unternehmen, auch höhere Vergütungen zu zahlen, um genügend Auszubildende zu finden. Allerdings gibt es da keinen Automatismus. Am Ende legen Arbeitgeber und Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverträgen für die jeweiligen Branchen die Ausbildungsvergütung fest. Solche Tarifverträge sind immer Kompromisse. Wenn die Gewerkschaften hier nicht stark genug sind, werden die Arbeitgeber immer darauf achten, ihre Kosten möglichst gering zu halten.
Die Frage ist jetzt, ob steigende Azubilöhne sich auch herumsprechen und ob sie dann auch tatsächlich die Nachfrage nach einem Ausbildungsplatz ankurbeln. Was meinen Sie?
Ich denke, dass bei Auswahl eines Ausbildungsplatzes die Vergütung immer nur ein Kriterium ist. An erster Stelle steht da nach wie vor erst einmal die Frage, ob ein konkretes Berufsfeldes für die Jugendlichen attraktiv ist. Allerdings gewinnt auch die Vergütung zunehmend an Bedeutung, da immer mehr junge Menschen heute den Anspruch haben, auch als Auszubildende ein eigenes, von den Eltern möglichst unabhängiges Leben bestreiten zu können. Damit verändert sich der Charakter der Ausbildungsvergütung. Sie ist nicht mehr nur ein Zuverdienst, sondern muss ein gewisses Existenzminimum ermöglichen. In konkreten Zahlen ausgedrückt bedeutete dies: Es wird wohl schon bald kaum mehr eine Ausbildungsvergütung geben, die im Monat unterhalb der 1.000 Euro-Schwelle liegt. Damit wäre auch eine gewisse Parität zu den Studierenden hergestellt, wo der Bafög-Höchstsatz ebenfalls knapp 1.000 Euro pro Monat beträgt.
Viele Unternehmen begründen die niedrigeren Vergütungen ihrer Azubis damit, dass man ja zusätzlich viel Geld in die Ausbildung stecken müsse und man ja nach Ende der Ausbildung dann viel besser bezahle. Klingt ja durchaus schlüssig, oder nicht?
Mit dieser Haltung werden die Unternehmen nicht mehr weit kommen, weil die Jugendlichen dann zunehmend den besser bezahlten Ausbildungsplatz beim Konkurrenten oder in einer anderen Branche nehmen. Meiner Meinung nach liegt das Problem hier weniger an den Ausbildungsvergütungen als vielmehr an der Tatsache, dass viele Unternehmen überhaupt nicht ausbilden. Hier braucht es neue Lösungen – wie z.B. den in Bremen eingeführten Ausbildungsfond – durch den auch Unternehmen ohne Ausbildungsplätze an den Kosten der Ausbildung beteiligt werden.
Herr Prof. Schulten, vielen Dank für das Gespräch!
Foto (c): Uli Baatz