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Ausbildung oder Studium
„Die Behauptung, dass der Studienboom den Betrieben die Azubis wegnimmt, ist einfach Quatsch.“

Es fehlen Fachkräfte im Land und da verwundert es nicht, dass die Diskussion über die Ursachen der Ausbildungsmisere lebhaft geführt wird. Die Bertelsmann Stiftung und das CHE Centrum für Hochschulentwicklung haben die wichtigsten Argumente jetzt einem Faktencheck unterzogen. Wir unterhielten uns darüber mit Ulrich Müller, er ist Mitglied der Geschäftsleitung beim CHE.

Herr Müller, Sie und Ihre Kolleg:innen haben sich im Winter die Mühe gemacht, ein paar geläufige Behauptungen zu beruflicher und akademischer Bildung einem Faktencheck zu unterziehen. Das betrifft auch die Frage, warum zu wenige Menschen eine Ausbildung beginnen. Warum haben Sie das Wort „Mythos“ verwendet?

Ein Mythos ist eine Lüge, der viele glauben. Und zu den Themen Ausbildung und Studium halten sich hartnäckig einige Fehlinformationen. Die können bei jungen Menschen zu Fehlentscheidungen führen. Wir wollten deshalb „alternative Fakten“ in Bezug auf nachschulische Bildung entlarven, ihnen Fakten gegenüberstellen. Die Behauptung etwa, dass der Studienboom den Betrieben die Auszubildenden wegnimmt, ist einfach Quatsch. Es gibt immer noch mehr junge Menschen, die eine Ausbildung aufnehmen als solche, die ein Studium beginnen. Und die Studienanfängerzahlen sind sogar eher rückläufig.

Welche Themen haben Sie noch untersucht?

Wir haben zehn Mythen identifiziert, die herumgeistern. Zum Beispiel: „Nach der Schule wird der berufliche Weg ein für alle Mal festgelegt“ – stimmt nicht. Man hat auch später noch viele Möglichkeiten, sich neu zu orientieren. Wenn man kein Abitur macht, sondern eine berufliche Ausbildung, kann man danach, wenn man will, sogar ohne Abitur studieren. Oder der Irrglaube, man müsse sich zwischen Studium oder Ausbildung entscheiden. Man kann auch einfach beides machen, gleichzeitig Theorie und Praxisorientierung genießen. Nennt sich duales Studium. Oder „Nur Akademiker verdienen richtig gut“: Alles Mythen, die in die Irre führen.

Wie kommt es, dass solche Mythen sich so lange halten und immer weiter verbreitet werden?

Manchmal sind grundlegende Fakten einfach noch nicht in alle Köpfe gedrungen. Manche irreführenden Narrative werden aber leider auch bewusst und wider besseres Wissen gepflegt. Mythen liefern vermeintlich klare, einfache Antworten und Erklärungen. Sie ermöglichen es, andere Akteure für Missstände verantwortlich zu machen, also Verantwortung abzuwälzen. Etwa wenn ich Nachwuchsmangel in der Ausbildung habe, aber den Akademisierungstrend dafür verantwortlich mache – dann muss ich ja nichts ändern. Langfristig rächt sich das natürlich.

Weil so nötige Reformen unterbleiben bzw. das eigene Angebot nicht attraktiver gestaltet wird?

Genau. Und weil Negativ-Kampagnen, Konkurrenz und Schuldzuweisungen das Verhältnis von akademischer und beruflicher Bildung belasten. Lösungen gibt es ausschließlich mit-, nicht gegeneinander. Angesichts der demografischen Entwicklung ist der Wettbewerb um Talente zwischen der Ausbildung und dem Studium ein Nullsummenspiel.

Die Suche nach den Ursachen für Auszubildendenmangel führt also oft auf den falschen Pfad. Was könnte man besser machen, um die Ausbildung zu stärken?

Betriebe müssen Bildungsinteressierte über Karrieremöglichkeiten, Verdienstaussichten und Anschlussoptionen informieren. Vielen ist nicht klar, was alles möglich ist. Für Studienzweifler und Studienabbrecher muss es verlässliche Übergänge in die berufliche Bildung geben. Und es gilt, weitere Potenziale zu heben: die Ungelernten, die dem Arbeitsmarkt noch nicht als Fachkräfte zur Verfügung stehen. Jedes Jahr bleibt ein erheblicher Anteil junger Menschen ohne Ausbildungs- oder Studienplatz, das muss sich ändern.

Früher hieß es ja immer, die Ausbildung in Deutschland sei so gut, dass andere Länder sie als Blaupause nutzen sollten. Stimmt die Aussage noch?

Die Ausbildung in Deutschland ist qualitativ stark. Das ist kein Mythos! Aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Wir beobachten etwa, dass die Nachfrage nach Modellen wächst, die berufliche und akademische Ausbildung kombinieren. Da müssen wir für noch mehr Durchlässigkeit sorgen und innovative Modelle der Zusammenarbeit umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Müller!

https://www.che.de/download/faktencheck-nachschulische-bildung/

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