Welche grundlegenden Weichen müssen gestellt werden, um mehr Schulabgänger:innen fürs Handwerk zu interessieren? Dieses Thema wird heiß diskutiert, doch ein durchschlagender Lösungsansatz ist noch nicht in Sicht. Daher ist es gut, wenn sich auch die Wissenschaft dem Thema annimmt. Andrea Greilinger ist stellvertretende Geschäftsführerin beim Ludwig-Fröhler-Institut in München und hat nach einer Befragung eine Studie dazu veröffentlicht.
Frau Dr. Greilinger, im Herbst vergangenen Jahres präsentierten Sie auf einem Volkswirte-Forum in München die Ergebnisse einer Analyse, bei der Sie und Ihr Team Erwartungen von Schulabgänger:innen an Arbeitgeber im Handwerk unter die Lupe genommen haben. Wie ist es, wenn man Volkswirte trifft und mit ihnen über das Fachkräfteproblem spricht? Welchen Lösungsansatz favorisieren Ökonomen, die im Regelfall ja auf die Marktkräfte hoffen?
Immer inspirierend! Letztendlich hoffen übrigens auch wir in der BWL auf die Marktkräfte. Nur geht es uns darum, aus der Brille eines einzelnen Handwerksbetriebs zu verstehen, wie potenzielle Azubis ticken, welche Wünsche sie an eine Ausbildung haben und wie sie über berufliche Optionen informiert werden möchten. Forschung in diese Richtung sichert den Betrieben eine optimale Positionierung auf einem mittlerweile hart umkämpften Nachwuchs- und Fachkräftemarkt.
Sie weisen in Ihrer Arbeit ja auf drei große Problemfelder hin: Erstens gibt es im Handwerk einfach zu wenige Bewerber:innen für eine Ausbildung. Zweitens wird ein knappes Drittel der Ausbildungsverträge mittendrin von den Betrieben bzw. den Azubis gelöst und drittens arbeitet nach fünf Jahren nicht mal mehr die Hälfte der fertig Ausgebildeten noch im Handwerk. Welcher Bereich wiegt am schwersten?
Alle angesprochenen Probleme sind für die Betriebe gleichermaßen frustrierend. Wie soll die Zukunft von Handwerksbetrieben gesichert werden, wenn zu wenige ins Handwerk gehen bzw. dort bleiben wollen? Insbesondere sollten jedoch Konflikte während der Ausbildung in Verbindung mit Ausbildungsvertragslösungen im Auge behalten werden. Forschungen zeigen, dass dieses Erlebnis besonders an der Bereitschaft der Betriebe nagt, auch in Zukunft ausbilden zu wollen.
Nun haben Sie im Frühsommer 2023 an 70 Schulen in Bayern Umfragen durchgeführt. Welche Ergebnisse der Befragung waren für Ihr Team überraschend?
Besonders überrascht hat mich, dass Gymnasiasten im Vergleich zu Mittel- und Realschülern zum Befragungszeitpunkt deutlich schlechter über den beruflichen Bildungsweg informiert waren. Trotzdem vertreten sie die Meinung, sich über diesen Weg nicht dasselbe gesellschaftliche Ansehen und dieselben Verdienstmöglichkeiten aufbauen zu können wie mit einem Studium. Das Zwei-Klassen-Denken bezogen auf den akademischen versus den beruflichen Bildungsweg hat sich also bereits bei potenziellen zukünftigen Akademikern verfestigt.
Wie lautet Ihr Rat an das Handwerk? Wie macht man es nachhaltig attraktiver?
Die Analysen zeigen, dass Handwerksbetriebe mit höherer Vergütung nach Abschluss der Ausbildung punkten können. Auch Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten stehen aus Sicht der befragten Schüler:innen hoch im Kurs. Indem Betriebe respektieren, dass junge Leute neben der Arbeit ein starkes Freizeitbedürfnis haben und sich dieses beispielsweise mit geregelten Arbeitszeiten unbedingt sichern möchten, schießen sie sich im Attraktivitätsranking ebenfalls nach oben.
Sie haben sich in der Untersuchung auch konkret mit dem Thema Berufsorientierung beschäftigt. Wie lautet hier Ihr Fazit?
Unabhängig von der Schulart finden alle Befragten das Praktikum als das mit Abstand beste Instrument, um sich über Berufe zu informieren. Alle anderen Berufsorientierungsmaßnahmen sollten nach Wunsch der Schüler:innen ebenfalls ermöglichen, etwas Praktisches auszuprobieren und Mitarbeiter:innen bei der Arbeit zusehen zu können. Im Nachgang von Berufsorientierungsmaßnahmen ist ihnen wichtig, noch schriftliche Informationen ausgehändigt zu bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!