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Monitor Ausbildungschancen 2023
„Es gibt noch keinen Grund, über die Demografie zu jammern“

Regelmäßig gibt es Klagen der Wirtschaft, der Trend zu höheren Schulabschlüssen und die gleichzeitig gestiegene Studierneigung bei Abiturient:innen gingen zu Lasten der Berufsausbildung. Falsche Schlussfolgerung, meint der Chef des FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie, Dr. Dieter Dohmen, der mit seinem Team im Auftrag der Bertelsmann Stiftung den „Monitor Ausbildungschancen 2023“ verfasst hat.

Herr Dr. Dohmen, die Wirtschaft beklagt die erhöhte Studierneigung, aber offenbar zieht es doch gleichzeitig immer mehr Abiturient:innen in die Berufsausbildung, nämlich fast die Hälfte eines Jahrgangs.

Tatsächlich stimmt beides: Es gibt einen größeren Anteil an Abiturient:innen, die eine Ausbildung beginnen und zugleich steigt der Anteil derer, die ein Studium aufnehmen. Das liegt zum einen daran, dass mehr junge Menschen nach einer Ausbildung noch ein Studium aufnehmen, berufsbegleitend oder in Vollzeit. Zum anderen beginnen andere Abiturient:innen dann eine Ausbildung, wenn sie ihr Studium abgebrochen haben. Und es gibt das duale Studium, in dem Ausbildung und Studium verbunden wird.

Wenn es so ist, dass es nicht nur insgesamt immer mehr Abiturient:innen gibt, und dass unter den Schulabgänger:innen mit Abi auch eine erhöhte Bereitschaft besteht, eine Lehre zu beginnen, dann gäbe es an dieser Stelle ja nichts zu jammern.

Ganz so einfach oder gut ist die Lage dann doch nicht, dass es nichts zu jammern gäbe. Zum einen ist die Zahl der Ausbildungsverträge mit rund 465.000 um 150.000 niedriger als noch 2007, während gleichzeitig Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können und ausbildungswillige Jugendliche ohne Ausbildungsplatz bleiben. Zum anderen sind die Ausbildungschancen für Jugendliche mit Hauptschulabschluss deutlich zurückgegangen, nämlich um ein Drittel. Und auch bei denjenigen mit Mittlerem bzw. Realschulabschluss ist die Lage alles andere als rosig. In der dualen Ausbildung sind deren Übergangsquoten eher rückläufig. Umgekehrt steigt auch der Übergang in schulische Ausbildung, die sich zu einer starken Konkurrenz für die duale Ausbildung entwickelt hat. Das wird in der Diskussion bisher völlig übersehen.

Nun sagen Sie und Ihr Team auch: Die Demografie spielt beim Rückgang der Ausbildungsverträge keine Rolle. Das Problem sei eher die große Zahl an jungen Menschen, die sich in keiner qualifizierenden Maßnahme befinden, diese müsse man besser erreichen. Was meinen Sie damit?

Wir haben rund 850.000 junge Menschen, die einerseits weder erwerbstätig noch in Ausbildung sind oder andererseits im sog. Übergangssektor sind. Das ist quasi eine ganze Altersgruppe. Solange dies der Fall ist, gibt es keinen Grund, über die Demografie zu jammern. Das verdeckt nur die beträchtlichen Probleme für viele junge Menschen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass ein Teil dieser Jugendlichen gerade für kleine und kleinste Unternehmen nur schwer auszubilden ist.

Wenn die Nachfrager nach Schulabgänger:innen – also die Ausbildungsbetriebe – ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können und gleichzeitig viele Schulabgänger:innen keinen Ausbildungsplatz finden, dann könnten Sie als Volkswirt ja auch von Marktversagen sprechen, bei dem der Staat eingreifen muss. Tun Sie das?

Sie haben völlig recht, das ist in gewisser Weise ein Marktversagen und wir müssen dafür sorgen, dass möglichst alle Menschen die Möglichkeit haben, eine berufliche Qualifikation zu erwerben. Das ist aber seit Jahrzehnten schon nicht mehr der Fall. Um dieses Marktversagen zu beseitigen, braucht es Unterstützung für Jugendliche und auch für kleinere Unternehmen. Außerdem sollte man Angebote stärken, bei denen neue Wege beruflicher Ausbildung erprobt werden. Hier sollen diejenigen einen Ausbildungsplatz erhalten, die ansonsten kaum eine Chance auf eine qualifizierende Ausbildung haben.

Vielen Dank, Herr Dr. Dohmen, für das Gespräch!

https://www.fibs.eu/referenzen/publikationen/publikation/monitor-ausbildungschancen-2023/

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