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Bologna-Reform
„Es könnte so aussehen, als sei die Lehre nur noch zweite Wahl. Das halte ich für einen Irrtum“

Der 19. Juni 1999 hatte für viele Hochschulen und ihre Studierenden große Folgen. In Bologna unterzeichneten 29 europäische Bildungsminister:innen einen Vertrag, der die Abschlüsse Bachelor und Master brachte und Diplom und Magister in der Versenkung verschwinden ließ. Wie sieht mit einigem zeitlichen Abstand ein Fazit durch die Expertenbrille aus? Wir fragten nach bei Prof. Marcel Schütz, er lehrt und forscht an der Northern Business School in Hamburg und ist Mitautor eines Buches zur Bologna-Reform.

Herr Prof. Schütz, das alte Jahrtausend lief noch, als die Bologna-Reform angestoßen wurde, mit der ein einheitlicher europäischer Hochschulraum geschaffen werden sollte. Seitdem ist viel passiert, wie sieht Ihr persönliches Fazit zu dieser gewaltigen Reform aus? Mehr Licht oder mehr Schatten?

Das kommt auf die Perspektive an. Einerseits hat die Reform Unruhe und Selbstbeschäftigung in den Unis ausgelöst. Andererseits regt sowas auch zu neuer Optimierung an. Die Bologna-Reform wurde immer mehr der Realität des Studierens angepasst. Sie ist aber jetzt schon so lang da, dass man kaum mehr von ihr spricht, weil man sich arrangiert hat. Vor 10, 15 Jahren sah das noch anders aus. Da kippte es beinahe.

Eins hat die Reform auf jeden Fall gebracht, ein für die Studierenden eher unübersichtliches Studienangebot. Oder muss man es ins Positive drehen und von einer nie dagewesenen Vielfalt sprechen?

Sie sagten es schon – Licht und Schatten, würde auch ich meinen. Als ich studiert habe, das ist gar nicht so lange her, gab es teils noch mehr Angebot. „Mikromaster“ mit allerlei Spezialisierungen. Das hat man inzwischen eingedämmt, weil man sieht, dass die Leute genug Handfestes und Tiefgang an Wissen brauchen. Also ja, es gibt heute viel mehr zu studieren, aber die Studierenden schauen kritisch, ob es was taugt.

Die Wirtschaft beklagt fehlende Azubis, manche sprechen sogar von einem Studierwahn und zeichnen ein düsteres Bild von der Zukunft, weil bald niemand mehr eine Maschine bedienen kann. Hat die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master mit eine Schuld daran?

Hochschulen sind zugänglicher geworden für eine breitere Bevölkerung. Das war politisch erwünscht, es gibt mehr Durchlässigkeit. Heute kann man nach Techniker- oder Bäckerlehre und Berufspraxis noch studieren, was zur eigenen Praxis einen Bezug hat. Natürlich könnte das so aussehen, als sei die Lehre nur noch zweite Wahl. Das halte ich aber für einen Irrtum. Man kann erst eine Lehre machen und später noch studieren. Oder auch nicht und sich bestens über Weiterbildung entwickeln. Auch Leute, die nicht studiert haben, können gut verdienen. Teils schneller, mitunter mehr. Es hängt an den Typen, ihren Ambitionen, am Können, dem Umfeld und an den Jobs. Titel sind nicht alles.

Es gibt Hochschulen, die inzwischen wieder Diplom-Studiengänge anbieten, manche sogar zusätzlich zum Bachelor- und Masterangebot. Was halten Sie davon?

In den Ingenieurwissenschaften. Das ist jedoch nie wirklich in andere Fächer übergeschwappt. Es gab mal leichte Rückkehrchancen fürs Diplom, aber ich denke: Die Tür ist zu. Es wird hier und da Hochschulen geben, die noch Diplom anbieten. Aber selbst da hat man „bolognaartige“ Abläufe eingeführt. Das Diplom hat in der technischen Zunft viel mit deutscher Wertarbeit zu tun. Es ist eine Marke, klar. Aber sonst sind die Bachelor- und Masterstudiengänge etabliert und die „Währung“, in der gezahlt wird.

Danke, Herr Schütz, für das Gespräch!

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