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Strukturwandel und Berufe
“Im Jahr 2050 wird vermutlich kaum ein Arbeitnehmer so arbeiten wie heute”

Wenn sich Wirtschaftsbereiche, Nachfrageströme oder Verkehrsangebote nachhaltig ändern, spricht man von Strukturwandel, also von einer langfristigen und nicht nur saisonalen Veränderung. Aber welche Auswirkungen hat der Strukturwandel auf das Ausbildungsangebot bei Berufen? Wir sprachen darüber mit Volker Kotte, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Herr Dr. Kotte, Sie haben in mehreren Veröffentlichungen über die Auswirkungen des Strukturwandels auf die Berufswelt geschrieben, oft beziehen sich Ihre Beobachtungen auf einzelne Bundesländer. Welche großen strukturellen Veränderungen haben das Berufsleben aus Ihrer Sicht in den zurückliegenden Jahren am stärksten und auch bundesweit beeinflusst?

Viele Aspekte, die unter das Kürzel „IT“ fallen: Digitalisierung, Informationsverarbeitung, Vernetzung, der Bedeutungszuwachs sozialer Medien. Weitere sind Europäisierung und Globalisierung, in letzter Zeit ökologische Aspekte wie der nachhaltige Umgang mit Ressourcen oder die Klimaproblematik. Nicht weniger bedeutsam ist der „allgemeine“ technologische Fortschritt, es entstehen neue Produkte, Innovationen oder bessere Prozesse. Unterschätzt wird der demographische Wandel. Eine Gesellschaft die demnächst zur Hälfte aus „Älteren“ besteht, hat andere Bedürfnisse und arbeitet anders als eine junge und wachsende Bevölkerung. Teilzeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, altersgerechte Arbeitswelt oder Übergang in den Ruhestand sind Aspekte, die das Berufsleben heute anders beeinflussen als vor 20 oder 30 Jahren.

Ab wann merkt ein Wissenschaftler, dass Veränderungen im beruflichen Sektor nicht nur vorübergehender Art sind?

Ökonomisch als Veränderung von Angebot und Nachfrage. Arbeitgeber fragen nach neuen oder veränderten Kompetenzen; Arbeitnehmer, Schüler, Studenten und Auszubildende ändern ihr Bildungs- und Arbeitsverhalten. Sichtbar wird dies in Statistiken und Kennziffern, aber auch in vielen Diskursen, wo Neuerungen, Probleme, Entscheidungen oder Verteilungen diskutiert werden.

Wenn Sie es sich wünschen könnten: Was müssten Institutionen, die Berufsausbildungen definieren und vorschreiben, ändern, damit sie schneller auf den Strukturwandel reagieren können? Oder muss es gar nicht schneller gehen?

Es gibt keine einfache Antwort, aber „Empowerment“ dürfte ein zentraler Begriff sein. Wenn wir davon ausgehen, dass der Strukturwandel umfassender und schneller abläuft als in der Vergangenheit und viele Veränderungen nicht bekannt sind, ist Bildungsfähigkeit und individuelle Motivation elementar. Wir müssen aktuelle Bedarfe und Anforderungen abdecken und dürfen die Anpassungsfähigkeit an unbekannte Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren.

Inzwischen vollzieht sich der Strukturwandel vor dem Hintergrund fast vollständiger Beschäftigung. Wenn der Strukturwandel also Berufe entstehen oder aussterben lässt, müssen im Grunde die Menschen die Jobs wechseln, sonst klappt das nicht. Ist diese Rechnung zu einfach?

Der größte Teil des Strukturwandels betrifft die Veränderung innerhalb der Berufe. Ein kleiner Teil der Berufe verschwindet, neue Berufe entstehen; die größten Veränderungen betreffen die Dynamik innerhalb der Berufe. Eine Bankkauffrau/Bankkaufmann etwa arbeitet heute weitgehend anders als vor 30 oder 40 Jahren. Niemand hat vor 30 Jahren die Bedeutung sozialer Medien, der Vernetzung oder mobiler Endgeräte so vorausgesehen. Ähnliches dürfte für die Zukunft gelten. Im Jahr 2050 wird vermutlich kaum ein Arbeitnehmer so arbeiten wie heute. Der Strukturwandel betrifft Alle und (fast) jede Tätigkeit.

Würden Sie sagen, dass auch Schulabgänger:innen gut beraten wären, wenn sie strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt zumindest wahrnehmen? Immerhin kann davon ja abhängen, ob man in 10 oder 20 Jahren immer noch in dem Bereich arbeitet.

Auf jeden Fall, ich würde die Antwort auf eine Triade erweitern: Erstens gilt es absehbare Änderungen der Arbeitswelt wahrzunehmen, zweitens eigene Interessen, Eignung und Leistungsfähigkeit mit den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen abzugleichen und drittens Lerntechniken und Motivation für eine offene Zukunft aufzubauen. Wer musisch begabt ist, sollte nicht aus rein ökonomischem Kalkül einen technischen Beruf ergreifen. Jede und jeder sollte eine individuelle Strategie entwickeln, aber Bildungsfähigkeit und Bildungsmotivation sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Nur der Wandel ist gewiss!

https://iab.de/themen/arbeitsmarkt-im-strukturwandel/

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