HWK Lübeck: Freiwilliges Handwerksjahr
“Du darfst dich erstmal ausprobieren”
Die Handwerkskammer Lübeck hat zum 1. Juli 2024 ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Ausbildungsinteressierte in einem Jahr gleich vier Handwerksberufe kennenlernen können. Für jeweils drei Monate gehen sie in einen Betrieb, probieren den Beruf aus und bekommen dafür monatlich auch eine Aufwandsentschädigung. Das Ziel: Angebot und Nachfrage am Ausbildungsmarkt sollen besser zueinander finden und auch besser passen. Das Projekt sorgt seit Bekanntwerden bundesweit für Schlagzeilen, wir sprachen mit Nadine Grün, sie leitet bei der HWK Lübeck die Nachwuchsgewinnung.
Frau Grün, wie und wann entstand die Idee des Freiwilligen Handwerksjahrs?
Die Idee kommt aus dem Handwerk selbst. Vorreiter sind die Elektro Breitling GmbH aus Süddeutschland und der schleswig-holsteinische Betrieb Held Isolier-Technik GmbH. Beide haben wahnsinnig viel Zeit und Herzblut in die Idee investiert. Wir fanden das Konzept so spannend, dass wir es der Landesregierung in Zusammenarbeit mit Frau Held als Pionierprojekt vorgestellt haben. Wir hatten das große Glück, dass unsere Landesregierung das Potential des Formates für junge Menschen und Betriebe erkannt hat und das Projekt vom Schleswig-Holsteinischen Institut für Berufliche Bildung, kurz SHIBB, mit einer Koordinierungsstelle gefördert wird.
Welches Ziel hat das Freiwillige Handwerksjahr?
Wir stellen in unserer täglichen Beratungspraxis immer wieder fest, dass viele Jugendliche zwischen mehreren potenziellen Ausbildungsberufen schwanken. Sie sind einfach unsicher, auch durch die vielen Möglichkeiten. Vor allem aber fehlt ihnen die Praxis und die ist im Handwerk ja das „A und O“. Mit dem FHJ können die jungen Menschen praktische Erfahrungen sammeln, betriebliche Abläufe kennenlernen und herausfinden, wo ihre beruflichen Talente und Stärken liegen. Und auf dieser Basis fällt eine Entscheidung natürlich viel leichter.
Wie funktioniert das Modell ganz genau?
Das Konzept ist simpel: Die Jugendlichen überlegen sich, welche Handwerksberufe sie gerne kennenlernen würden. Allein im Handwerk gibt es ja über 130 Ausbildungsberufe. Anschließend melden sie sich bei uns und wir stellen einen Kontakt zu passenden Betrieben her. Es findet ein Kennenlerngespräch statt und dann kann es auch schon losgehen: Über ein Jahr hinweg können sie dann vier Berufe ausprobieren. Währenddessen erhalten sie von den Betrieben eine monatliche Aufwandsentschädigung von 450 Euro brutto.
Was passiert, wenn der erste Ausbildungsberuf gleich ein Treffer ist?
Dann freuen wir uns sehr für den FHJler und den Betrieb. Wenn sich beide einig sind, kann der Jugendliche im Betrieb bleiben und zum nächstmöglichen Zeitpunkt in eine Ausbildung starten.
Dass Schulabgänger und Betriebe nicht zusammenkommen, scheitert bislang ja nicht daran, dass es keine Praktika gibt, im Gegenteil: Immer mehr Firmen auch aus dem Handwerk bieten Praktika an.
Sie haben vollkommen Recht. Wir vermuten, dass die Entscheidung selbst den Jugendlichen so schwer fällt, sei es für einen Ausbildungsberuf oder ein Praktikum. Das Freiwillige Handwerksjahr hat einen anderen Ansatz – die Botschaft an die Jugendlichen ist: Du musst dich eben noch nicht entscheiden, du darfst dich erstmal ausprobieren.
Welche Rolle kommt nun konkret Ihrer Kammer zu?
Die Handwerkskammer Lübeck sorgt dafür, dass Jugendliche und Ausbildungsbetriebe zueinanderfinden. Natürlich machen wir auch Werbung für das Freiwillige Handwerksjahr, damit möglichst viele Jugendliche und Studienzweifler davon erfahren. Und wir stehen zur Verfügung, wenn es Fragen gibt – zum Beispiel zum Praktikumsvertrag oder anderen rechtlichen Themen.
Würden Sie so soweit gehen und sagen: Was wir hier machen, hat durchaus Modellcharakter?
In den ersten vier Wochen haben sich mehr als 100 Betriebe und über 60 Jugendliche – darunter auch Studierende – bei uns gemeldet. Dazu kommen ganz viele begeisterte Eltern. Die Resonanz ist wirklich wahnsinnig groß. Von daher würde ich sagen: Ja, das Freiwillige Handwerksjahr hat durchaus Modellcharakter.