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Standpunkt
„Mach erst mal ein Praktikum“

Praktika helfen, Berufe kennen zu lernen, Praxiserfahrung zu sammeln und Kontakte zu knüpfen, außerdem machen sie sich gut im Lebenslauf – so sagt man. Die Berufsberaterin Uta Glaubitz ist skeptisch.

Von Uta Glaubitz

Tief in unserem Innern wirken der Lebenstrieb und der Todestrieb, so der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Bei den Deutschen kommt noch der Praktikumstrieb hinzu. Er gilt als Allheilmittel gegen Planlosigkeit in Sachen Beruf, Aufschieberitis, Ausbildungs- und Studienabbruch. Wenn ein junger Mensch nicht weiß, was er werden soll – entweder, weil er ständig darüber nachdenkt oder weil er überhaupt nicht darüber nachdenkt – heißt es von Bildungsexperten: „Mach erst mal ein Praktikum“. Leider wird man beim Praktikum in der Apotheke nicht herausfinden, ob man Fußballreporter, Hutmacher, Geschichtslehrer oder Konditor werden will. Zudem kann man in vielen Berufen aus gutem Grund gar kein Praktikum machen, zum Beispiel als Psychoanalytiker, Fluglotse oder Jugendrichter.

Planlose Praktika

Es gibt weitere Gründe, die gegen ein planloses Praktikum sprechen: Denn bereits erfolgreiche Sterneköche, Parfumeure und Modedesigner haben wenig Verständnis für Praktikanten, die nicht wissen, was sie wollen. Stattdessen erwarten sie, dass ein Praktikant dieselbe Hingabe an den Tag legt wie sie. Sie wissen genau: Ohne wird es sowieso nichts. Darüber hinaus macht ein Praktikum ohne Plan anfällig für Nebensächliches, zum Beispiel, ob die Kollegen nett sind oder nicht. Nette Leute aber können niemals ein Grund dafür sein, Uhrenrestaurator oder Stadtplaner zu werden. Zumal ein nettes Team sich schnell ändern kann, wenn ein Kollege dazukommt oder weggeht.

„Also wartet man weiter“

Natürlich kann man während des Praktikums auf eine Eingebung hoffen. Genauso, wie beim Netflixen, Angeln oder Meditieren. Aber meiner Erfahrung nach kommt die Eingebung nicht. Also wartet man weiter, angelt weiter, macht wieder ein Praktikum – und hat immer noch nichts gewonnen und auch nichts erreicht (außer vielleicht, man will ein Angelfachgeschäft eröffnen).
Dabei sollte ein Praktikum genau dafür da sein: seinen ersten Schritt auf dem Weg zum beruflichen Ziel zu schaffen. Dafür aber muss man sich erstmal entscheiden, ob man Kameramann oder Lebensmitteltechniker werden will. Erst dann kann man klären, ob ein Praktikum dazu gehört, so wie als Winzer, Kapitän oder Minenräumer – manchmal, weil es schlicht vorgeschrieben ist, oder weil man die eigene Seetauglichkeit erstmal beweisen muss.

Aber für andere Wege braucht man anderes: Für angehende Staatsanwälte und Strafrichter sind überdurchschnittliche Noten im Jurastudium wichtiger. Zukünftige Diplomaten müssen ihre Fremdsprachen polieren und für einen Test über politische Fragen Bücher und Zeitungen lesen. Polizisten und Feuerwehrleute müssen zum Sporttest, für sie ist das Training wichtiger als ein Praktikum (selbst wenn es eins gäbe).

„Nicht nebenbei, sondern fulltime“

Wer Rechtsmediziner werden will, muss sich in vielen Fällen erstmal auf einen Medizinertest vorbereiten – nicht nebenbei, sondern fulltime. Ein zukünftiger Schauspieler sollte Schauspielunterricht, Sprechtraining und Gesangsstunden nehmen. Wer Influencer oder Aktivist werden will, braucht Follower. Allerdings sollte er zusätzlich auch einen beruflichen Plan machen. Es sei denn, sein Erbe reicht für Hausbau, Krankenversicherung und Handyrechnung.

Ein Praktikum ist weder Beschäftigungstherapie noch Lebenslaufdekoration. Es füllt die innere Leere nicht aus, genauso wenig wie Weltreisen und Freiwillige Ökologische Dienste in Neuseeland. Es sei denn, man will Obstbauer oder Tierpfleger werden – und gestaltet den Einsatz entsprechend.

Was also tun? Die ersten Schritte sind: Aufhören mit Pseudomaßnahmen wie Praktika oder Persönlichkeitstests. Manchmal hilft es bereits aufzuhören mit Googeln. Denn Google kann – Stand jetzt – unsere zentralen Lebensentscheidungen nicht fällen.

Uta Glaubitz ist Berufsberaterin und Autorin des Longsellers „Der Job, der zu mir passt“ (Campus) und des Hörbuchs „Berufsfindung und Philosophie“ (Spotify). Vor 35 Jahren hat sie selbst ein Praktikum gemacht, und zwar am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln.

www.berufsfindung.de
Podcast: Berufsfindung & Philosophie

Buchtipp: „Der Job, der zu mir passt“

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