Rund 6.000 Ehrenamtliche vom Netzwerk ArbeiterKind.de engagieren sich bundesweit in ca. 80 lokalen Gruppen, um Schüler:innen über die Möglichkeit eines Studiums zu informieren. Das Ziel ist, mehr Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung zu einem Hochschulstudium zu ermutigen. Wir sprachen mit Pablo Ziller, der die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von ArbeiterKind.de mitgestaltet.
Herr Ziller, wie können Sie die Entwicklung zusammenfassen, die ArbeiterKind.de in 15 Jahren gemacht hat?
ArbeiterKind.de wurde 2008 von Katja Urbatsch und ihrem Bruder Marc gegründet. Beide waren die Ersten in der Familie, die ein Hochschulstudium begonnen und abgeschlossen haben. Diese Erfahrungen führten zur Gründung der Organisation ArbeiterKind.de. Im Studium ist den beiden klar geworden, dass Kindern aus Familien ohne akademische Tradition oft größere Schwierigkeiten im Studium begegnen als Kindern aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil studiert hat. Dies belegen ja auch viele Bildungsstudien: Arbeiterkinder schaffen es seltener ans Gymnasium, an die Hochschule und promovieren viel seltener als ihre Kommiliton:innen aus akademischen Elternhäusern.
Wie ist ArbeiterKind.de organisiert? Was machen Sie konkret?
ArbeiterKind.de ist ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen, die sich in lokalen Gruppen an den Hochschulstandorten organisieren. Dort unterstützen sie Ratsuchende, helfen bei allen Fragen rund ums Studium und gehen an die Schulen vor Ort, um dort ihre eigene Bildungsgeschichte zu erzählen und anderen angehenden Erstakademiker:innen mit Information und Mut zur Seite zu stehen.
Was ist bei Ihrer Arbeit für ArbeiterKind.de am wichtigsten: Ängste vor einem Studium nehmen oder konkret über Finanzierungsmöglichkeiten zu informieren?
Wir tun beides! Unsere Community berät und unterstützt Studierende der ersten Generation gegenseitig und nimmt dadurch Ängste. Dies flankieren wir hauptamtlich mit unserem Veranstaltungsangebot, beispielswiese mit Veranstaltungen zum Thema Studienzweifel oder zur Selbstorganisation im Studium. Zugleich informieren wir auf unserer Website, an unserem Infotelefon, auf Veranstaltungen – auch an Schulen übrigens – und in unseren lokalen Gruppen zu Finanzierungsmöglichkeiten, wie dem BAföG, dem Auslands-BAföG, Stipendien und anderen Möglichkeiten, wie man sich sein Studium gut finanziert.
Können sich Lehrkräfte direkt an ArbeiterKind.de wenden, um sich Unterstützung zu holen? Bieten Sie das an?
Auf jeden Fall! Ist eine lokale ehrenamtliche Gruppe von uns in der Nähe, können wir Schulbesuche organisieren oder wir schließen mit einzelnen Schulen Partnerschulvereinbarungen ab und sorgen so für einen kontinuierlichen Austausch.
Ein Grund für den sich verstärkenden Fachkräftemangel ist, dass gerade auch aus Akademikerfamilien zu wenig Schulabgänger:innen kommen, die eine Ausbildung beginnen. Sie könnten jetzt ja direkt noch AkademikerKind.de gründen, die Adresse verlinkt ja auch schon auf ArbeiterKind.de.
Dass zu wenige Schulabgänger:innen eine Ausbildung beginnen, hat verschiedene Ursachen, vor allem die rückläufigen Geburtenjahrgänge und die geringe Attraktivität von Berufsausbildungen sind dafür verantwortlich. Daher wäre die Gründung einer solchen Plattform aus unserer Sicht nicht notwendig. Eher sollte man sich darum bemühen, Ausbildungsberufe attraktiver zu gestalten und Schulabbrecher:innen im gegenwärtigen Bildungssystem gezielter zu fördern. Die Domain Akademikerkind.de haben wir uns vor einiger Zeit gesichert, eher um einen Missbrauch im ironischen Sinn zu verhindern.
Wie steht Ihre Organisation zu der vielfach gehörten Aussage, dass es inzwischen viel zu viele Akademiker gibt? Man könnte Ihnen ja den Vorwurf machen, dass ArbeiterKind.de diesen Trend noch verstärkt.
Nach wie vor ist die OECD der Auffassung, dass es in Deutschland überhaupt keine Überakademisierung gibt, also eher zu wenig Hochschulabsolvent:innen das Bildungssystem verlassen im Vergleich zu anderen Industrienationen. Der Vorwurf ist insofern auch falsch, da wir überhaupt nicht auf eine Erhöhung der Akademikerquote hinarbeiten. Uns geht es um faire Chancen für einen Bildungsaufstieg – ein wichtiges Anliegen in einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Die Quote ist das eine, die Durchmischung dieser ist etwas ganz anderes.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ziller!