Online-Self-Assessments an Hochschulen
„Es sollte ein realistisches Bild über die Anforderungen vermittelt werden“
Immer mehr Hochschulen bieten Online-Self-Assessments (OSA) an. Studieninteressierte können so besser herausfinden, was sie in einem bestimmten Studienfach erwartet und ob sich das mit ihren Interessen deckt. Die Hochschulen ihrerseits hoffen darauf, dass sich mit Hilfe der OSA die immer noch sehr hohen Abbruchquoten senken lassen. Wir sprachen darüber mit Susanne Falk vom Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF).
Frau Dr. Falk, Sie beobachten seit vielen Jahren, wie die Hochschulen ihr Angebot an Tests ausbauen. Wie sieht ihr aktuelles Fazit aus? Haben sich die OSA bewährt?
Mit der Öffnung des Hochschulzugangs in Deutschland und einem generellen Anstieg der Studienanfängerquote in den letzten 20 Jahren von 33,3 Prozent im Jahr 2000 auf 56,4 Prozent im Jahr 2022 brauchen wir valide Instrumente in der Studienorientierungsphase, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. OSA sind solche Instrumente, da sie Studieninteressierte eine Rückmeldung zu ihren Studieninteressen, ihrem sprach- und zahlengebundenen logischen Denken sowie ihrem räumlichen Vorstellungsvermögen geben. Zudem erheben sie auch Fähigkeiten, die für ein Studium zentral sind, wie die Selbstwirksamkeitserwartung oder das selbstregulierte Lernen. Besonders hervorzuheben sind OSA als Instrument der Berufsorientierung in der gymnasialen Oberstufe, da Schüler darüber oftmals erkennen, welches mathematische oder technische Potenzial in ihnen steckt.
Wie hat sich das Angebot im Laufe der Jahre verändert?
Das Angebot hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Aktuell gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz über 850 OSA an 75 Standorten. Generell haben diese Instrumente an Bedeutung gewonnen, weil sich Hochschulen und Hochschulpolitik die Senkung des Studienabbruchs auf die Fahnen geschrieben haben. Gerade die hohen Studienabbruchquoten in Bachelorstudiengängen in MINT-Fächern haben den großen Handlungsbedarf aufgezeigt. In Bayern ist die Technische Hochschule Nürnberg ein Pionier in diesem Feld und bietet sowohl einen allgemeinen Studierfähigkeitstest als auch fachspezifische Eignungstests an. Mein Eindruck ist, dass die Erfahrungen mit diesem Instrument sehr positiv sind und sie von Studieninteressierten als sehr hilfreich empfunden werden.
Gibt es nach Ihrer Kenntnis Umfragen, die belegen, dass sich viele Studieninteressierte nach einem Test doch nochmal anders entscheiden?
In der Studienorientierungsphase dürfte sicherlich die Praxis vorherrschen, dass mehrere fachspezifische OSAs zur Anwendung kommen, so wie auch Mehrfachbewerbungen an der Tagesordnung sind. Auf dem OSA-Portal gibt es alleine für die Ingenieurwissenschaften fast 200 unterschiedliche OSAs je nach Hochschule und Studiengang. Ob der Studiengang bei einer positiven Rückmeldung durch das OSA aufgenommen wird, ist schwierig zu messen. Dazu habe ich leider keine belastbaren Daten. Generell ist die Aufnahme eines Studiums noch von vielen anderen Faktoren abhängig, wie z.B. die Reputation der Hochschule, die Nähe zum Wohnort oder die Situation auf dem Wohnungsmarkt.
Die Abbruchquoten an den deutschen Hochschulen haben sich in den vergangenen Jahren trotz der Tests nicht wirklich zum Positiven verändert. In manchen Fächern wie etwa den Geisteswissenschaften oder in Mathematik bricht jeder zweite Studierende ab. Warum ist das noch so? Was könnte man dagegen tun?
Unsere eigene Forschung hat gezeigt, dass ein Studium im Wunschfach das Studienabbruchrisiko in MINT-Fächern senken kann. Die Entscheidung für ein Wunschfach wird durch die persönlichen Interessen sowie die Auseinandersetzung mit den Studieninhalten, den Anforderungen des Studiengangs und dem angestrebten Berufsprofil geprägt. Aber selbst eine gute Studienorientierung kann den Studienabbruch nicht verhindern. Hier spielen zu viele Faktoren mit rein, angefangen bei Leistungsproblemen, Problemen bei der Studienfinanzierung und mangelnder Studienmotivation. Gerade in MINT-Fächern scheitern auch viele Studierende an den mathematischen Anforderungen des Studiengangs. Gerade hier sollte Studieninteressierten im Vorfeld ein realistisches Bild über die Anforderungen vermittelt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
www.forschung-und-lehre.de/lehre/mit-leistungs-trackings-gegen-studienabbruch-455
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