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Mein Standpunkt
„Die Hilferufe haben zugenommen“

Welche Verantwortung tragen Lehrkräfte eigentlich, die sich an ihren Schulen um die Berufsorientierung kümmern und mittlerweile immer öfter direkt um Hilfe bei der Besetzung neuer Stellen gebeten werden? Über die Rolle der Berufsorientierung schreibt Jan Olschewski, er ist Schulleiter am Oberlin-Seminar in Berlin.

Es ist früher Morgen. Noch sind keine Schüler:innen zu hören oder zu sehen. Erste Tat: Ein freundliches “Guten Morgen!” ins Sekretariat, hier läuft das Telefon schon heiß. Zweite Tat: Kaffee. Dritte Tat: Rechner an, E-Mails aktualisieren. In wenigen Augenblicken bauen sich kaskadenartig die ungelesenen bzw. neuen E-Mails auf. Mein Unterricht beginnt demnächst, also muss erstmal ein schneller Blick genügen. Irgendwelche Katastrophen? Dringender Handlungsbedarf? Während ich das Postfach runterscrolle, fallen mir wie fast jeden Tag wieder Mails auf mit Betreffs wie „Bitte um dringende Unterstützung“ oder einfach nur „Bitte um Hilfe“. Das Besondere daran: Sie kommen ganz oft von Kitas, Pflege- und Fürsorgeeinrichtungen und sind persönlich an mich als Schulleiter gerichtet. Anfragen dieser Art erhalten wir als Oberlin-Seminar mehrmals die Woche. Es geht immer darum, dass pädagogische und sozialpädagogische Fachkräfte fehlen, Vermittlungen und Ausschreibungen ins Leere führen und wir als Ausbildungstätte für Sozialassistent:innen und Erzieher:innen um Unterstützung, Vermittlung und Werbung gebeten werden. Und diese Hilferufe haben zugenommen.

Was hat das jetzt mit Berufsorientierung zu tun? Berufsorientierung ist lange Zeit an vielen Stellen wie folgt abgelaufen. Es gab ausliegendes Informationsmaterial, Orientierungs- und Informationsexkursionen und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen den Besuch eines/einer Kolleg:in der Arbeitsagentur. Hatte eine Schule nicht das Glück, über besonders fortgebildete bzw. engagierte Kolleg:innen zu verfügen, die sich diesem Thema angenommen haben, war dieses Thema überwiegend outgesourced. Oder etwa nicht? Man konzentrierte sich auf die Bildung. Das „Danach“ fand buchstäblich woanders statt.

Diese Zeiten sind vorbei und glücklicherweise setzt sich das Bewusstsein darüber zusehends durch. Die Berufsberatung und die Berufsorientierung sind wichtige und relevante Bildungsdienstleistungen einer modernen Schule – egal wo und in welchen Bildungssettings! Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels haben vor allem die berufsbildenden Schulen hier eine ganz besondere Verantwortung. Nehmen sie diese Verantwortung ernst, müssen sie sich als Informationsknotenpunkt verstehen, Anlaufstelle, Katalysator und Weichensteller. Die Schule steht im Mittelpunkt gesellschaftlicher Prozesse, zu denen auch die Berufs- und Arbeitswelt gehört. Die Berufsorientierung darf kein Randthema sein, sie ist DNA und (ein) Mittelpunkt schulischen Handelns und Denkens.

Was heißt das konkret? Berufsberatung findet immer statt und muss im Rahmen des „daily Schulbusiness“ konsequent und ganz bewusst immer mitgedacht werden. Im Anmeldeprozess bzw. -gespräch, dann während des Unterrichts – und zwar fächerübergreifend –, in speziellen Momenten wie Veranstaltungen und in dafür geeigneten Formaten und schließlich natürlich in lebendigen Kooperationen: Berufsorientierung findet immer statt!

Dafür braucht es z.B. eine stärkere Verankerung in Lehrplänen und Lehrer:innenausbildung und mehr methodische und prozessuale Handreichungen und Fortbildungen. Mehr zur Verfügung stehende Mittel für Schulen selbstredend auch. Und nicht zuletzt mehr Bewusstsein und Wertschätzung für Relevanz und Wirkmächtigkeit von Berufsberatung und Berufsorientierung. Gelingt das, kann Schule über dieses „Tool“ direkt, nachhaltig und konsequent helfen, in Sachen Fachkräftemangel einen noch größeren Lösungsbeitrag zu leisten, den Schüler:innen zu maximalinformierten Entscheidungen verhelfen und Schule noch viel stärker Möglichmacher und Wegbereiter sein. Also, sind wir kreativ und kümmern uns noch stärker um das Danach!

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