Dass den Unternehmen Auszubildende und Fachkräfte fehlen, hat sich inzwischen herumgesprochen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat jetzt aber untersucht, in welchen Berufen der Mangel bis 2026 am größten sein wird. Im Gespräch mit Studienautor Alexander Burstedde wollten wir herausfinden, ob die Ergebnisse der Studie auch für Schulabgänger:innen relevant sind.
Herr Burstedde, Sie haben den Rechner mit sehr vielen Zahlen aus der Vergangenheit gefüttert und sich Prognosen für die nähere Zukunft des Arbeitsmarktes berechnen lassen. Hat Sie an den Ergebnissen irgendetwas überrascht?
Mich hat überrascht, dass in einigen Berufen Beschäftigung und Fachkräftemangel gleichzeitig steigen. Das heißt, viele junge Menschen wählen diese Berufe, aber es sind immer noch nicht genug. Dazu zählen IT-Berufe, Pflegeberufe und soziale Berufe wie Erzieher:in oder Sozialarbeiter:in.
Veränderte Berufswünsche können die Prognosen einer solchen Studie doch nochmal richtig durcheinander wirbeln, oder?
Tatsächlich ändern sich die Berufswünsche weniger schnell als die Nachfrage der Unternehmen. Ich würde mich freuen, wenn mehr Berufsorientierung zu besseren Berufswahlentscheidungen führen würde.
Ist es aus Ihrer Expertensicht für Schulabgänger:innen ein raffinierter Schachzug, auf die Branchen mit dem größten Fachkräftemangel zu schauen und dann in dieser Richtung eine Ausbildung zu starten? Immerhin winkt ein sicherer Job und vielleicht sogar eine gute Position, wenn Gehaltsverhandlungen stattfinden.
Ja, das wäre klug. Junge Menschen sollten häufiger Berufe in Betracht ziehen, bei denen es einen absehbaren Fachkräftemangel gibt und die sie vielleicht bisher noch nicht auf dem Schirm hatten. Beispiele wären die Ausbildungsberufe Verfahrensmechaniker:in und Klempner:in. Das auch vor dem Hintergrund, dass viele Vorstellungen zu Berufen überholt sind. Insbesondere Eltern und Lehrer wissen häufig gar nicht, wie sich Berufe verändert haben. Hier lohnt ein Blick auf neutrale Quellen, wie die Tätigkeitsbeschreibungen im BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit.
Aber nur auf die Arbeitsmarktchancen zu schauen, ist doch zu wenig, oder?
Sicher. Am Ende muss der gewählte Beruf vor allem zu den eigenen Neigungen und Fähigkeiten passen. Praktika sind aus meiner Sicht die beste Berufsorientierung. So stellt man schnell fest, was einem wirklich Spaß macht – beispielsweise einen Metallblock zu fräsen. Und noch eins: Man muss nicht studieren, um einen guten Job zu finden. In den nächsten Jahren gehen sehr viele Menschen in Rente, die eine Ausbildung gemacht haben. Deshalb wird es beispielsweise im Handwerk einen noch größeren Fachkräftemangel geben. Für ehrgeizige Menschen wird es dort in den nächsten Jahren auch sehr viele Betriebe zur Übernahme geben.
Wenn sich zu viele Schulabgänger:innen auf einen Mangelberuf stürzen, kann das aber ja auch dazu führen, dass man nach der Ausbildung in die Röhre schaut. In den 1960er-Jahren zum Beispiel gab es, wie auch heute, einen großen Mangel an Lehrer:innen, doch schon Ende der 70er-Jahre waren frisch ausgebildete Lehrkräfte arbeitslos. Viele mussten damals sogar umschulen.
In der freien Wirtschaft passiert so etwas eigentlich nicht. Im Durchschnitt wissen die Unternehmen schon sehr gut, welche Berufe sie in Zukunft brauchen. Schon immer gab es Berufe, bei denen Beschäftigung aufgebaut wird, während in anderen Beschäftigung abgebaut wird. So hat unsere IW-Arbeitsmarktfortschreibung gezeigt, dass der größte Beschäftigtenrückgang bei Bankkaufleuten mit Ausbildung zu erwarten ist. Der alte Satz „Mach was Sicheres, mach eine Bankausbildung“ gilt nicht mehr.
Konnten Ihre Berechnungen auch voraussagen, in welchen Gebieten Deutschlands der Fachkräftemangel künftig stärker ausfallen wird als woanders?
Grundsätzlich ist es so, dass heute viele junge Menschen in den Städten leben, die Industrie aber häufig auf dem Land sitzt. Hier wird es auch in Zukunft viele gute Jobs für gut ausgebildete Fachkräfte geben. Ein interessantes Ergebnis war noch, dass Ostdeutschland den Westen bei Beschäftigungsaufbau und Fachkräftemangel überholen wird. Insbesondere mit Berufsausbildung wird man im Osten künftig leicht Jobs finden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Burstedde!