Deutschlands Wohlstand basiert auch darauf, dass innovative Produkte entwickelt werden und viele davon in den Export gehen. Technische Innovationen werden aber von gut ausgebildeten Menschen entwickelt, und genau an dieser Stelle gibt es ein Problem. Das sagt Dr.-Ing. Michael Schanz vom VDE, dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.
Herr Schanz, was verstehen Sie unter einer Rekord-Schere?
Betrachtet man den Bedarf und das Absolventen-Angebot von ausgebildeten Elektroingenieurinnen und Elektroingenieuren, so klaffen diese 2022 wie nie zuvor auseinander. Auf der Bedarfsseite stellt sich das demografische Problem der Verrentung sowie der wachstumsbedingte Zusatzbedarf. Das Angebot an frischen Absolvierenden versiegt jedoch langsam aber sicher: Es gibt einfach zu viele Studienabbrüche und immer weniger Erstsemester an Unis in den Fächern Elektrotechnik und Informationstechnik.
Das heißt aber nichts anderes, als dass die große Ursache des Problems und damit auch deren Lösung in der Berufsfindungsphase der Jugendlichen zu suchen ist, oder?
Das ist die eine große Baustelle, die ich jetzt angehe. Wir müssen in die Köpfe der jungen Menschen gucken und fragen: Welche Bilder hast Du im Kopf, wenn Du hörst „Elektrotechnik“ bzw „Elektroingenieur“ oder „Elektroingenieurin“? Hochbegabte Schülerinnen und Schüler haben uns einfach nicht auf dem Schirm und denken eher an Installation von Lichterketten, als dass Elektroingenieure zu Wohlstand, Komfort, Vernetzung und auch Klimarettung beitragen. Frauen haben teilweise sogar regelrecht Angst, sich dafür zu entscheiden. Die andere große Baustelle ist, dass tragischerweise viel zu Viele das Studium abbrechen. Nach meiner Einschätzung geben mehr als 60 Prozent aus diversen Gründen wieder auf – Tendenz steigend.
Sie sprachen schon von einem zusätzlichen Bedarf aufgrund technischer Entwicklungen. Der Klimawandel ist hier ein großer Treiber, wir brauchen in vielen Bereichen neue umweltfreundliche Techniken, um den CO2-Ausstoß zu mindern. Das Thema müsste eigentlich genügend Zugkraft entwickeln, um die Schüler: innen für Technik zu interessieren, oder?
Sie sagen es: Müsste eigentlich, das hatten wir auch gedacht. Trotz dieser offensichtlichen Zusammenhänge konnten wir aber zeigen, dass genau die mit Bestnoten in Mathe, Physik und Informatik das eben nicht so sehen. Immerhin kommen die teilweise auf die Idee, Informatik zu studieren. Aber in der Technik geht es oft um Systeme. Da braucht es Software und Hardware im Zusammenspiel.
Es gibt hohe Abbrecherquoten, das schreckt viele ab. Was kann ich rechtzeitig tun, dass ich später eben nicht zu den Abbrecher:innen gehöre? Mich vorher besser über die Studieninhalte informieren? Oder einfach nur fleißiger sein als andere?
Schließe Frieden mit Mathe! Mathe hilft Dir als Werkzeug und darin, technische Fragestellungen besser zu verstehen. Lass Dich vorher beraten und suche dasjenige Niveau aus, welches zu Deinen Wünschen und Skills passt. Auch eine Facharbeiterausbildung in der Elektrotechnik ist anspruchsvoll und bietet gute Bezahlung und interessante Jobs. Halte durch – auch bei Rückschlägen! Erkundige Dich über die Möglichkeiten im Job, das motiviert. Zum Beispiel bei einer Firmenexkursion einer VDE Hochschulgruppe. Studiere im Team – bloß nicht allein!
Spannende Technikprojekte beschreiben, aus der realen Welt berichten, wahrscheinlich wäre doch gerade das in den Klassenzimmern eine willkommene Abwechslung mit großem Werbeeffekt in der Berufswahl. Was können Lehrer:innen tun, wenn sie diese Idee gut finden? Wie bekommen sie E-Ingenieur:innen ins Klassenzimmer?
Zum Beispiel über die in ganz Deutschland bestehenden erwähnten VDE Hochschulgruppen. Ladet mal eine Endsemester-Studentin zu Euch ein! Die können von spannenden Projekten und Anwendungen erzählen. Wenn Kontakte zu Unternehmen bestehen, holt Euch mal einen Entwicklungsingenieur an die Schule! Ich selbst halte gelegentlich eine 60-minütige Präsi auf Veranstaltungen. Da erzählt der Onkel unter anderem aus seiner Zeit aus der Forschung in der Mikroelektronik. Da haben wir nämlich Zukunft gestaltet!
Vielen Dank, Herr Schanz, für das Gespräch!