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© Foto: Frank Lemburg_Fotostudio Wilder, Göttingen

Standpunkt: Prof. Susan Seeber, Uni Göttingen
„Wir wissen recht wenig darüber, welche Maßnahmen wirkungsvoll sind“

© Foto: Frank Lemburg_Fotostudio Wilder, Göttingen
Welche Weichen müsste man beim Übergang Schule/Beruf stellen, um die Ziele besser zu erreichen? Wie können Abbrüche vermieden und mehr offene Stellen besetzt werden? Wir fragten nach bei Susan Seeber, sie ist Professorin für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung an der Uni Göttingen, sie forscht im Bereich der Aus- und Weiterbildung und ist Mitglied in zahlreichen beratenden Gremien.

Frau Prof. Seeber, Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit dem Übergang Schule/Beruf und verfolgen ganz genau, was es an Forschungsprojekten und Studien dazu gab und gibt. Überrascht es Sie, dass nach Ende der Schulzeit immer noch so viele Probleme auftauchen, obwohl sich die Zeiten aufgrund der demografischen Entwicklung komplett verändert haben und die Betriebe Nachwuchsmangel haben?

Nein, das überrascht mich, ehrlich gesagt, recht wenig. Die Ausbildungsplätze sind in den letzten Jahren zwar kontinuierlich zurückgegangen, doch zugleich sind die Schülerzahlen demografisch bedingt stärker als die Zahl der Ausbildungsplätze gesunken. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt hat sich insgesamt verbessert, doch bundesweit kommen 102 Ausbildungsstellen auf 100 Nachfragende, das ist immer noch kein ausgeglichenes und auswahlfähiges Angebot.

Ab wann ist denn aus Ihrer Sicht ein ausgeglichenes Angebot erreicht?

Ab einer Relation von etwa 112,5 zu 100. Regional stellt sich der Ausbildungsmarkt übrigens sehr unterschiedlich dar: Die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg haben eine starke Unterversorgung mit Ausbildungsplätzen, in den ostdeutschen Flächenländern und Bayern sieht es deutlich besser aus.

Welches Problem sehen Sie also konkret?

Jugendliche mit verschiedenen Startnachteilen haben – trotz eines verbesserten Ausbildungsmarkts – kaum höhere Chancen, um in eine Ausbildung zu kommen. Hierfür sind unter anderem auch verschiedene mismatch-Probleme verantwortlich: Das regionale mismatch habe ich oben schon angesprochen. Es ist allerdings das geringere Problem und könnte mit Mobilitätszuschüssen und Förderung der Unterbringung am Ausbildungsort vielleicht gelöst werden. Viel schwieriger ist jedoch, dass angebotene Ausbildungsstellen und Berufswünsche der Jugendlichen nicht zusammenpassen. Diese fehlende Passung macht etwa ein Drittel des Nichtzustandekommens möglicher Verträge aus. Bundesweit blieben im letzten Jahr ca. 73.400 gemeldete Ausbildungsstellen unbesetzt. Offene Ausbildungsstellen waren bzw. sind vor allem in der Gastronomie, in Reinigungs- und Verkaufsberufen und im Lebensmittelhandwerk zu finden. Das sind weniger attraktive Berufe, weil sie mit niedrigem Sozialstatus, ungünstigen Arbeitsbedingungen wie niedrigem Einkommen, Schicht- und Wochenendarbeit, aber auch mit begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten verbunden sind. Wir haben also nicht ein generelles Problem in der Besetzung von Ausbildungsplätzen, sondern ein berufsspezifisches: In bestimmten Berufen, in denen eine ausgebildete Person kaum bessergestellt ist als eine Person ohne Abschluss, die angelernt wird, erscheint eine Ausbildung wenig attraktiv. Ob sich dieses über bildungspolitische Initiativen wie mehr Berufsorientierung lösen lässt, bezweifle ich.

Und dann gibt es natürlich auch die Fälle, in denen Betriebe Kandidaten ablehnen, weil sie den Anforderungen nicht entsprechen. Oder die Firma fällt bei den Bewerber*innen durch.

Richtig, damit kommen wir zum eigenschaftsbezogenen mismatch, das mit 43 Prozent den größten Anteil unter dem Nichtzustandekommen von Verträgen für offene Ausbildungsstellen ausmacht. Betriebe nehmen Jugendliche nicht in Ausbildung auf, weil diese ihre Erwartungen an die Ausbildungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Es kann aber auch sein, dass Jugendliche bestimmte Betriebe aufgrund ihres Rufs oder Renommees als Arbeitgeber in der Region ablehnen. Weder können Jugendliche gezwungen werden, einen bestimmten Beruf zu erlernen oder in einem bestimmten Betrieb sich ausbilden zu lassen, noch können Betriebe gezwungen werden, bestimmte Jugendliche aufzunehmen.

Wenn es bei der Passung also an gleich mehreren Stellen klemmt, müsste da die Politik mehr machen?

Der Glaube, dass sich mit der demografisch bedingten Entspannung am Ausbildungsmarkt alle Probleme am Übergang in Ausbildung in Luft auflösen, war von Anfang an ein Trugschluss. Denn es war zu erwarten, dass sich aufgrund des Strukturwandels und der technologischen Entwicklung in der Arbeitswelt die Verwerfungen am Ausbildungsmarkt eher noch verstärken werden. Dafür sprach die zu beobachtende Verfestigung des Übergangssektors, die sich in den letzten 15 Jahren auf hohem Plateau mit rund 250.000 Neuzugängen jährlich eingependelt hat. Insofern ist die Situation, in der wir sind, keine Überraschung. Ich würde hier von einem zaghaften und zaudernden Handeln der Politik sprechen. Eine größere Hoffnung hatte ich mit der Ausbildungsgarantie, die im Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien vereinbart wurde, aber diese wird bisher leider nur restriktiv angegangen. Ich fürchte daher, dass sie nicht den großen Durchbruch bringen wird.

Es gibt ja, nicht nur in der Politik, immer wieder Versuche, für bestimmte Berufszweige Werbung zu machen, was halten Sie davon?

Eine fehlende Passung zwischen Berufswünschen der Jugendlichen und dem Beruf, der erlernt wird, führt zu einer höheren Vertragslösungsquote. Insofern ist es nur begrenzt erfolgversprechend, Jugendliche in bestimmte Berufe zu lenken. Fakt ist aber auch, dass die Jugendlichen durchaus kompromissbereit sind: Fast die Hälfte der Jugendlichen geht bei der Berufswahl Kompromisse ein, sei es beim Ausbildungsberuf, bei gewünschten Merkmalen des Ausbildungsbetriebs oder bei den Arbeitsbedingungen. Dies gilt insbesondere für Jugendliche ohne oder mit niedrigem Schulabschluss, aus sozio-ökonomisch schlechter gestellten Familien und/oder mit Zuwanderungshintergrund. Insofern brauchen wir bessere Lösungen, um allen Jugendlichen die Chance auf eine Ausbildung auch zu geben.

Als Sie neulich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gefragt wurden, welche Defizite Sie in der Berufsorientierung in Deutschland sehen, rutschte Ihnen erst mal ein “Oh je” heraus, einfach weil Ihnen sehr viele Punkte einfielen.

Das „Oh je“ bleibt, denn es gibt viele Baustellen: In der Berufsorientierung sind wir bislang leider etwas im Blindflug unterwegs, das heißt, wir wissen recht wenig darüber, welche Strategien, Konzepte und Maßnahmen der Berufsorientierung für welche Gruppen besonders wirkungsvoll sind. Die Kultusministerkonferenz hat sich zwar schon 2017 darauf verständigt, dass die Vermittlung von beruflicher Orientierung ein wichtiges Ziel der Allgemeinbildung ist, jedoch ist dann in den Ländern ein bunter Blumenstrauß an Konzepten und Maßnahmen entstanden, der die Schulen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Es bleibt erst einmal festzuhalten, dass nicht alle Bundesländer bisher Landeskonzepte entwickelt haben, sondern es teilweise den Schulen überlassen wird, Strategien und Konzepte auszuarbeiten. Das bedeutet für die Schulen einen enormen Aufwand, teils doppelte und dreifache Arbeit, die an verschiedenen Standorten geleistet wird. Viel zielführender wäre es, über Landeskonzepte Eckpunkte der Berufsorientierung zu setzen, die die Schulen dann vor dem Hintergrund ihrer Schülerinnen und Schülern ausschärfen. In einigen Bundesländern gibt es das, aber leider nicht in allen.

Wo setzt Ihre Kritik noch an?

In der Frage, wann die Berufsorientierung beginnt. Meist erst in den oberen Klassen der Sekundarstufe I – das ist zu spät. Berufsorientierung sollte früh mit einer Phase freier Exploration einsetzen, ohne Druck, sich bereits für einen bestimmten Beruf entscheiden zu müssen. Kinder sind neugierig, dieses Potenzial kann man für die Erkundung der Arbeitswelt nutzen, im Sachkundeunterricht, im naturwissenschaftlichen Unterricht, aber auch Basisfächern wie Deutsch oder Mathematik. Da geht es zunächst um spielerische das Kennenlernen der Berufs- und Arbeitswelt und um das Herausfinden der eigenen Interessen. Das sollte früh gefördert werden, damit Kinder Neugier auf die Arbeitswelt entwickeln.

Aber irgendwann sollte es dann doch um konkrete Berufswünsche gehen.

Freilich muss die Berufsorientierung dann in den oberen Klassenstufen der Sekundarstufe I, je näher der Übergang in Ausbildung rückt, konkreter und differenzierter werden. Hier geht es dann um das genauere Kennenlernen von Berufen und ihren Entwicklungsperspektiven, es geht um die Vorbereitung von Berufswahlentscheidungen. Fast alle Bundesländer haben für diese Phase konkrete Maßnahmen der Berufsorientierung in das Curriculum integriert. Manche Länder haben ein Fach der Berufsorientierung eingeführt, andere sehen dies eher fachübergreifend. Die Schulen können sich meist in der Umsetzung von berufsorientierenden Maßnahmen aus einem bunten Flickenteppich an Angeboten bedienen, die die Länder, teils der Bund bereitstellen und finanzieren. Dieser „Bauchladen“ ist noch weit entfernt von einer strukturierten und evidenzbasierten Berufsorientierung. Hier wäre es dringend geboten, genauer hinzuschauen, wie effektiv diese Angebote sind. Das sehe ich als dritte große Baustelle, die dringend angegangen werden muss.

Was meinen Sie mit „Bauchladen“?

Die Jugendlichen werden gegen Ende der Pflichtschulzeit mit berufsorientierenden Angeboten überhäuft: Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit, der Jugendberufsagentur, Ausbildungsmessen, Schnuppertage an berufsbildenden Einrichtungen, Girls Day, Boys Day, Schüler-Informationstage bei Kammern und Firmen, freie Träger kommen mit Beratungsangeboten in die Schulen, es gibt Roadshows, Ausbildungsbusse, Potenzialanalysen, Interessenstests, Praktika und und und … Das mag alles spannend und interessant sein, aber wenn dieses nicht systematisch mit den Schülerinnen und Schüler aufgearbeitet wird, verpufft die Wirkung größtenteils. Trotz der vielen Angebote fühlen sich Schülerinnen und Schüler vergleichsweise schlecht informiert und auf die Berufswahl vorbereitet. Das muss doch Ursachen haben! An Angeboten mangelt es jedenfalls nicht, wohl aber an zielführenden und passgenauen Angeboten. Die Vielfalt an Informationen, die Jugendliche erhalten, ist für einen Großteil gar nicht so einfach zu strukturieren und zu verarbeiten, oftmals nicht auf die individuelle Situation zugeschnitten. D.h. es werden viel Geld und personelle Ressourcen eingesetzt für Maßnahmen, über deren Wirkung nur begrenzt Wissen vorhanden ist.

Was würden Sie also konkret angehen?

Ich würde als erstes schauen, für welche Maßnahmen es Evidenz gibt, dass sie die Berufsorientierung positiv beeinflussen. Bei Angeboten, von denen wir wissen, dass sie Wirkung erzielen, würde ich dann viel genauer auf die Qualität schauen und prüfen, welche Qualitätsmerkmale erfüllt sein müssen, damit sie ihr größtes Potenzial entfalten können. Nehmen wir die Praktika: Diese werden von den Jugendlichen recht positiv bewertet und als hilfreich eingeschätzt. Allerdings wissen wir, dass Praktika keine Selbstläufer sind. Sie können beispielsweise gerade für benachteiligte Jugendliche, die aufgrund ihrer schulischen Leistungen mehr Schwierigkeiten haben, einen Betrieb und eine Ausbildungsstelle zu finden, sogenannte „Klebeeffekte“ entfalten. Das können sie aber nur, wenn die Betriebe, in denen die Praktika absolviert werden, auch anerkannte Ausbildungsbetriebe sind. Zudem hätten Ausbildungsbetriebe den Vorteil, dass es pädagogisch qualifiziertes Personal gibt, welches die Jugendlichen betreuen könnte. Darüber hinaus ist aus Studien bekannt, dass eher bei längeren Praktika und nicht bei kurzen Praktikumsphasen solche „Klebeeffekte“ entstehen. Will ich also Klebeeffekte erzielen, sollte dies beachtet werden. Auch die Vor- und Nachbereitung sowie Begleitung der Praktika durch die Schule spielen eine wichtige Rolle, um Berufswahlkompetenzen zu fördern.

Was halten Sie denn von Potenzialanalysen?

Für sie gilt ganz ähnliches. Fast alle Jugendlichen durchlaufen Potenzialanalysen. Wirkungsvoll sind diese aber nur, wenn es Lehrkräfte gibt, die sich dann mit den Jugendlichen über die Ergebnisse auseinandersetzen und gezielt mit den Jugendlichen daran arbeiten, bestimmte Dinge zu verbessern. Es muss allen klar sein: Die Förderung von Berufswahlorientierung und Berufswahlkompetenz ist Beziehungsarbeit, setzt Vertrauen der Jugendlichen in die Personen voraus, die sie in diesem Prozess begleiten und erfordert auch Stabilität in den Beziehungen zu Lehrkräften oder externen Bildungsbegleitern, die diesen Prozess unterstützen. Auch müssten wir viel genauer schauen, was benötigt der oder die Jugendliche, um ihre Berufsorientierung und Berufswahlkompetenz zu verbessern und was wären passgenaue Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen?
Auch würde ich die Jugendlichen viel mehr fragen, wie sie die Wirkung einzelner Maßnahmen einschätzen und zwar nicht nur in Bezug auf Zufriedenheit und Unterhaltungswert, sondern auch prüfen, wie sich die Maßnahmen auf die Berufsorientierung und Berufswahlkompetenz ausgewirkt haben. Wir müssen genauer hingucken, welche Maßnahmen tatsächlich „Agency“ der Jugendlichen stärken, um eine eigene und bewusste Berufswegentscheidung zu treffen. Es geht bei der Berufsorientierung nicht in erster Linie darum, Jugendliche in bestimmte Berufe oder berufliche Bildungspfade zu „kanalisieren“, sondern sie zu befähigen, herauszufinden, welche berufliche Tätigkeit sie sich vorstellen können und mit welchen Beruf und über welche Bildungswege sie diese erreichen können.

Nochmal ein Blick auf die Berufsorientierung an Schulen. Was läuft aus Ihrer Sicht gut?

Gut ist zunächst, dass das Thema der Berufsorientierung auf der Tagesordnung in der Bildungspolitik und bei den Schulen ist, dass viel in Bewegung geraten ist und ein gewisser Aufbruch zu spüren ist. Dass Berufsorientierung in den Schulen fest im Curriculum verankert ist, egal ob als eigenständiges Fach oder fächerübergreifend, sehe ich als wichtigen und richtigen Schritt, um alle jungen Menschen beim Aufbau beruflicher Orientierung zu unterstützen. Tun es die Schulen nicht, bleibt es den Familien überlassen und dann haben wir wieder ein hohes Maß an sozialen Ungleichheiten in der Berufsorientierung. Elternhäuser verfügen über sehr unterschiedliches Wissen über die Arbeitswelt, über Berufe, aber auch über soziale Netzwerke, um ihren Kindern das Kennenlernen von Berufen zu ermöglichen. Ohne die schulische Berufsorientierung würden diejenigen abgehängt, die diese Unterstützung im Elternhaus aus unterschiedlichen Gründen nicht erhalten. Insofern ist die schulische Berufsorientierung eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung von Chancengleichheit im Zugang zu beruflicher Bildung.

Was könnte den BO-Lehrkräften noch helfen?

Was bislang nicht so gut läuft, ist die Unterstützung der Schulen von administrativer Seite. Hier braucht es beispielsweise mehr Angebote in der Lehreraus- und -fortbildung zur Berufsorientierung. Darüber hinaus benötigen Schulen zeitliche Ressourcen, damit Lehrkräfte mit den Jugendlichen arbeiten können. Berufsorientierung ist Beziehungsarbeit, setzt Zeit für vertrauensvolle Gespräche voraus, auch die Vor- und Nachbereitung sowie Begleitung der verschiedenen Maßnahmen zur Berufsorientierung muss sichergestellt werden. Das kann nicht einfach mal so von den Lehrkräften nebenbei mitgemacht werden, das sollte auch als pädagogische Arbeit anerkannt werden. Auch der Aufbau von Kooperationsbeziehungen, das Abstimmen gemeinsamer Ziele der Berufsorientierung mit den externen Partnern erfordert personelle Ressourcen von den Schulen, um zu einer stabilen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zu kommen.

Würde es auch helfen, wenn sich die Schulen untereinander austauschen?

Auf jeden Fall. Eine verbesserte Vernetzung der Schulen untereinander könnte dazu führen, gemeinsam wirksame Konzepte zur Berufsorientierung zu entwickeln. Das muss nicht jede Schule für sich alleine machen, hier könnten Potenziale der Zusammenarbeit besser genutzt werden. Wir wissen, dass Eltern in der Berufsorientierung eine wichtige Rolle spielen, zugleich gelingt es den Schulen aber noch nicht so gut, die Eltern zu erreichen und wirkungsvoll einzubeziehen. Das heißt, es bedarf anderer Zugänge zu den Eltern als die traditionelle Einladung zu Elternabenden oder zu bestimmten Informationstagen in die Schule. Hier könnten Schulen voneinander lernen und sich austauschen über alternative und erfolgversprechendere Strategien der Elternintegration.

Wie könnte man die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Wirtschaft verbessern?

Kammern und Unternehmensorganisationen könnten die Schulen beim Aufbau von qualitätsvollen Praktikumspools unterstützen. Das wird teilweise schon umgesetzt, aber nicht flächendeckend. Dazu bedarf es allerdings einer Verständigung darüber, welche Ziele erreicht werden und welche Mindeststandards Praktikumsplätze und Praktikumsbetriebe erfüllen sollen, damit das Praktikum die Berufsorientierung unterstützt. Ein weiterer Punkt, der nicht nur die Wirtschaft betrifft: Schulen bräuchten für ihre Arbeit eine systematische Rückmeldung, zum Beispiel über gelingende Übergangsprozesse in Ausbildung. Es müssten also Daten zu den Übergängen auf Schulebene verfügbar gemacht werden, damit Schulen wissen, wo sie stehen, was gut läuft und wo es weniger gut läuft.

Wo gibt es auch für viele Unternehmen Stellschrauben, um mehr Azubis zu finden? Was müsste sich in den Personalabteilungen Ihrer Meinung nach ändern?

Ach wissen Sie, wir haben jedes Jahr rund eine Viertel Million Neuzugänge in den beruflichen Übergangssektor, also in die Berufsvorbereitung. Darunter sind erhebliche Ausbildungspotenziale, die die Unternehmen bisher kaum abrufen. Auf der einen Seite wird beklagt, dass man keine Auszubildenden findet, auf der anderen Seite werden bestimmte Jugendliche schon von vornherein im Bewerbungsprozess ausselektiert, weil man ihnen nicht zutraut, die Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen. Unter den Jugendlichen im Übergangssektor finden sich viele, die durchaus in der Lage wären, eine Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen, der oder die eine oder andere bräuchte vielleicht Unterstützung dabei, aber auch diese Möglichkeiten werden viel zu zögerlich von den Betrieben genutzt. Ein Teil der Jugendlichen wird von Betrieben abgelehnt aufgrund von Vorurteilen in Bezug auf den Schulabschluss oder die Herkunftskultur. Teilweise hat man vielleicht auch zu hohe Erwartungen an Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber.

Müsste sich auch etwas bei der Ausbildung selbst ändern?

Unternehmen müssten sich viel stärker der Aufgabe stellen, in junge Menschen zu investieren. Ausbildung ist eine Bildungsaufgabe, bei einem Teil der Betriebe überwiegt jedoch die kurzfristige Produktivitätsperspektive, also wie schnell Auszubildende produktiv im Unternehmen eingesetzt werden können. Und da verspricht man sich von leistungsstärkeren Bewerberinnen und Bewerbern einen schnelleren und höheren Ertrag. Freilich brauchen Betriebe auch bessere Unterstützung, wenn sie Jugendliche einstellen, die zusätzlicher Förderung bedürfen. Wenn Voraussetzungen bei Jugendlichen noch nicht vollumfänglich gegeben sind, sollte überlegt werden, ggfs. auch mit dem Partner „Berufsschule“, wie die betroffenen Jugendlichen am besten unterstützt werden können, um entsprechende Defizite abzubauen, z. B. durch eine ausbildungsbegleitende Sprachförderung oder durch Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Selbstregulation oder durch Unterstützung bei sozialen Problemlagen. Hier gibt es durchaus auch eine Reihe von Instrumenten, die öffentlich finanziert werden. Nicht immer sind diese den Betrieben bekannt, vielleicht scheuen auch manche die Hürden der Antragstellung. D.h. Personalabteilungen müssten viel offener gegenüber jungen Menschen werden, die vielleicht noch nicht alles mitbringen, was für eine Ausbildung als notwendig erachtet wird, was jedoch mit ausbildungsbegleitender Förderung oder Streckung der Ausbildungszeit entwickelt werden könnte. Aber auch die allgemeinbildenden Schulen müssten viel stärker darauf hinarbeiten, die Entwicklung zentraler Voraussetzungen für Ausbildung und gesellschaftliche Teilhabe, vor allem Basiskompetenzen und selbstregulative Fähigkeiten, besser zu beobachten und bei Bedarf verstärkt zu fördern.

Sind Sie in der Rückschau eigentlich zufrieden damit, wie bei Ihnen damals die Berufsorientierung ablief? Hatten Sie bei Schulschluss konkrete Pläne?

Nein, in meiner Schulzeit gab es damals in den 1980er Jahren wenig Berufsorientierung in der Schule. Das überließ man den Jugendlichen und ihren Eltern. Klar gab es Informationsangebote, auch praktische Erkundungsphasen, aber die empfand ich als wenig zielführend. Daher hatte ich gegen Ende der Schulzeit auch Mühe, aus der Vielfalt an Studienoptionen eine zu wählen. Letztlich hatte ich großes Glück, dass in mein Gespräch am Berufsberatungszentrum ein Berufsschullehrer platzte. Dieser bekam Teile des Gesprächs mit, mischte sich ein und meinte, dass er einen Tipp für mich hätte, wie ich mein ökonomisches und mein pädagogisches Interesse miteinander verbinden könnte. Er empfahl mir das Studium der Wirtschaftspädagogik. Für diesen Tipp bin ich heute noch sehr, sehr dankbar, denn es war genau die richtige Entscheidung. Aber keiner konnte mir vorher sagen, dass es eine solche Studienmöglichkeit überhaupt gibt, bei dem man beide Handlungsfelder miteinander kombinieren kann. Das erzählen mir im Übrigen heute noch meine Studierenden: Auf das Studium der Wirtschaftspädagogik kommen sie erst, wenn sie nach dem Abitur eine Ausbildung machen und ihre Berufsschullehrkräfte ihnen die Anregung geben, doch Wirtschaftspädagogik zu studieren.

Frau Prof. Seeber, vielen Dank für das Gespräch!

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