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Standpunkt: Stephan Albani, Bundestagsabgeordneter
„Junge Menschen brauchen Komplexitätsreduktion“

Die Berufsorientierung in Deutschland steht immer mehr im Fokus: Ob Eltern, Lehrkräfte, Arbeitsagenturen, IHKs, Verbände oder Politik – die berufliche Zukunft der Jugend bewegt viele Menschen und ist immer öfter Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen. Manchmal schafft es das Thema sogar in den Bundestag, wenn über die berufliche Bildung debattiert wird. Immer mit dabei ist dann Stephan Albani, er sitzt seit Oktober 2013 im Deutschen Bundestag und ist in der CDU/CSU-Fraktion Berichterstatter für Berufliche Bildung, Gesundheitsforschung und Fachhochschulen.

Herr Albani, Sie haben nach dem Abi Physik studiert, waren Sie im Nachhinein immer glücklich mit dieser Entscheidung? Und brachte Ihnen das in der Regierungszeit Pluspunkte bei der studierten Physikerin Angela Merkel?

Jein, denn im Rahmen meiner Reihe „Albani in Aktion“ durfte ich seit 2014 in derart viele Berufe „reinschnuppern“ – vom Bäcker über Fleischer bis Schreiner und Trockenbauer – und habe dabei so viel Faszinierendes kennengelernt, dass ich vielleicht nochmal nachdenken würde … Nein, Scherz beiseite – ich bin mit der Physik sehr zufrieden. Es gibt kaum eine wissenschaftliche Disziplin, die zugleich in festen Gesetzen denkt und diese regelmäßig freiwillig verwerfen muss. Max Planck sagte dazu einmal: „Wenn Sie die Art und Weise ändern, wie Sie die Dinge betrachten, ändern sich die Dinge, die Sie betrachten.“ Ein Grundgesetz, dass sich auch in der Politik immer wieder bestätigt. Diese pragmatische Perspektive zeichnete auch unsere Altkanzlerin aus – sie löste politische Krisen, weil sie ihr Umfeld von der Notwendigkeit einer anderen Perspektive überzeugte und nicht durch eine faktenbefreite Verweigerungshaltung. Ob mir diese gemeinsame Sicht Pluspunkte brachte, vermag ich nicht zu sagen.

Die berufliche Bildung ist einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit in Berlin. Sie hielten am 6. Juni 2024 im Bundestag eine Rede, in der Sie eine “smarte Berufsorientierung” forderten, was genau verstehen Sie darunter?

Smart ist hier technisch wie strategisch zu verstehen: Es wird heute von vielen Institutionen unglaublich viel für die Berufsorientierung getan. Jedoch stehen diese Maßnahmen alle nebeneinander oder hintereinander. Die Enquete-Kommission in der letzten Legislatur machte deutlich, dass es eines individuellen Suchprozesses für jeden jungen Menschen bedarf, der die vorhandenen Maßnahmen einem zielgerichteten Vorgang unterordnet. Das meint konkret: Es beginnt für jeden Schüler oder jede Schülerin mit einer Potenzialanalyse, welche die Neigungen und Talente bestimmt. Danach werden alle Schnupper- oder Zukunftstage, Praktika oder Infomaßnahmen an den bzw. auf die Berufe orientiert, die diesen Neigungen und Talente entsprechen. So ergibt sich ein überlegter, zielgerichteter und hochindividueller Prozess, der im Wortsinn „smart“ ist – anders als die bloße Aneinanderreihung von Maßnahmen.

Sie sagten auch, dass es nicht viel bringe, das “n+1-te Berufsorientierungsportal hinzuzufügen”. Ist es nicht gut, wenn viel in die BO investiert wird?

Wie bereits zuvor angedeutet: Junge Menschen brauchen Komplexitätsreduktion statt das Gegenteil. Sie sind bereits heute schlichtweg überfordert durch den Markt der Möglichkeiten – über 300 Berufe und über 20.000 Studiengänge. Stellen Sie sich ein Restaurant vor mit einer Speisekarte mit über 20.300 Gerichten. Wie wollen Sie da „Ihr“ Gericht finden? Wir müssen Überforderung vermeiden, indem wir eine Berufsorientierung aus einem Guss schaffen statt vieler voneinander getrennter Angebote. Die dafür eingesetzten Mittel müssen steigen – wie von meiner Fraktion allein in zwei entsprechenden Anträgen angemahnt. Das ist auch kein Widerspruch zur Harmonisierung unserer Berufsorientierung. Allerdings zeigte zuletzt die Einführung einer neuen Studienstarthilfe von 1.000 Euro durch die BAföG-Novelle die unverhohlene Bevorzugung der akademischen Bildung. Damit zeigt die Ampel wieder einmal, was von ihren „andersartig, aber gleichwertig“-Sonntagsreden zu halten ist.

Da fast alles im Bereich Bildung Ländersache ist, sind auch viele Maßnahmen rund um die Berufsorientierung in den Bundesländern entstanden. Wie viel Einfluss kann man als Bundespolitiker auf das Thema überhaupt nehmen?

Ja, die Arbeit als Bildungspolitiker hat auf Bundesebene klare föderale Grenzen. Dennoch ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, die Länder mit der Bereitstellung der notwendigen Mittel mit ins Boot zu holen. Viele notwendige Strukturreformen wie die Digitalisierung übersteigen die finanziellen Möglichkeiten einzelner Länder. Hier sind Bundesprogramme hilfreich, solange gemeinsame Standards und die Aufgaben der Länder festgeschrieben werden. Im Bereich der grundständigen Bildung und für Hochschulen haben wir viel erreicht – nun wäre endlich das duale Ausbildungssystem und die Berufsschulen dran. Dennoch lässt die Ampel wichtige Projekte wie den Pakt für berufliche Schulen in jahrelanger Gremienarbeit ausbluten, statt hier endlich entschieden zu investieren.

Sie haben vor Jahren, als Ihre Partei noch die Kanzlerin stellte, auch schon darauf hingewiesen, dass mehr junge Menschen für die duale Ausbildung gewonnen werden sollten. Jetzt scheinen sich die Zahlen zu stabilisieren, sehen Sie eine Trendwende?

Wir sind leider immer noch unter dem Vorpandemieniveau. Die tatsächliche Trendwende ist, dass wir seit zehn Jahren zunehmend mehr Ausbildungsstellen als Bewerber haben. Hier braucht es daher eine deutliche Stärkung der Attraktivität der beruflichen Ausbildung – das genaue Gegenteil wird jedoch von der Ampelregierung betrieben. Und obwohl die Zahl unbesetzt gebliebener Ausbildungsplätze steigt, trifft dies leider auch für die Zahl unversorgter Bewerber bzw. jener ohne jegliche Berufsausbildung zu. Diese paradoxe Entwicklung zeigt, dass die Qualifikationen vieler junger Menschen nicht ausreichen und dagegen müssen wir schnell und drastisch mehr tun als in der Vergangenheit. So sorgt eine frühe Berufsorientierung auch für Perspektive und Motivation am Anfang statt erst am Ende: Damit können wir das Risiko von Schul- und Ausbildungsabbrüchen deutlich reduzieren.

Wie erfolgreich waren Sie beim Thema Berufsorientierung zuhause? Sie haben drei Kinder…

In unserer Erziehung waren die Interessen der Kinder das Leitbild, nicht die Wünsche der Eltern. Wir haben ihnen Potenzialanalysen ermöglicht, die wir privat bezahlt haben. Ich würde dies gerne jedem jungen Menschen ermöglichen. Ferner haben wir sie zu Praktika und FSJs ermutigt, um in viele Möglichkeiten entlang ihrer Neigungen „hineinzuschnuppern“. So hat der eine Sohn seinen Weg in die Informatik gefunden. Unser anderer Sohn wusste erst nicht so recht und wollte studieren. Durch Potenzialanalyse und Praktika eröffnete sich dann der Weg in eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Meine Tochter hat für sich auf diesem Weg die Kunstgeschichte entdeckt. Für einen Haushalt der ansonsten bisher von Medizinberufen und Naturwissenschaften dominiert war etwas völlig anderes. Aber ich freue mich schon mit ihr und durch sie „Neues“ kennenzulernen. Aus meiner Sicht ist es für jedes Kind und unsere Gesellschaft wichtig, dass man schon früh Einblicke ins Berufsleben findet – sei es um ein paar Euro neben der Schule zu verdienen oder weil sie das Schulpraktikum als Chance begreifen. Unsere Schulen brauchen mehr Kontaktpunkte mit dem Arbeitsleben als bisher.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Albani!

https://stephan-albani.de/

Foto (c): Stephan Albani

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