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Drohender Arbeitskräftemangel
“Der demografische Wandel wird sich nicht von selbst lösen”

Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), hat im Sommer deutlich gemacht: Für die Umsetzung der Energiewende und die Bewältigung der Folgen des Klimawandels werden im Jahr 2030 rund 160.000 Arbeitskräfte benötigt. Da bis dahin die Zahl der Erwerbspersonen abnimmt, wird die Rekrutierung immer schwieriger Was kann man jetzt dagegen tun? Fragen an IAB-Forscher Christian Schneemann.

Herr Schneemann, Sie und Ihr Team haben die Berufe identifiziert, die bei der Energiewende eine große Rolle spielen werden und in denen es zu wenig Arbeitskräfte gibt. Man kann sie an dieser Stelle gar nicht alle aufzählen, mit dabei sind viele technische Berufe, aber auch die Land- und Forstwirtschaft, der Bau und viele Handwerksberufe. In vielen der genannten Berufe tun sich die Betriebe schon heute schwer, jemanden zu finden. Was droht der Wirtschaft in wenigen Jahren?

Die Lage wird sich auf jeden Fall nicht von alleine verbessern. Demografiebedingt wird sich die Anzahl an Personen, welche dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, deutlich verringern. Dies liegt an der sinkenden Zuwanderung, aber auch an der Verrentung der Baby-Boomer. Gerade in den Handwerks- und den Ingenieurberufen wird es für die Wirtschaft immer schwieriger werden, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Arbeitsplätze könnten dann vermehrt unbesetzt bleiben und der Lohndruck steigt.

Das IAB gehört zur Bundesagentur für Arbeit. Daher richten Sie viele Forderungen sozusagen an die eigene Mutter. Was müssen und können die Arbeitsagenturen vor Ort machen, wenn wir uns jetzt mal auf das Thema Berufswahl fokussieren? Müssten die Agenturen noch enger mit den Schulen zusammenarbeiten?

Das Leitbild des IAB ist es stets, unabhängige wissenschaftliche Grundlagen für fundierte Entscheidungen in der Arbeitsmarktpolitik zu schaffen, das betrifft nicht nur die Arbeitsagenturen. Eine Verzahnung mit den Schulen, aber auch mit den Betrieben, und eine gute Berufsberatung wären ein Hebel. Es werden aber insgesamt weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter vorhanden sein und somit steigt die Arbeitskräfteknappheit in den meisten Berufen, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Das vorhandene Potenzial müssen wir daher besser nutzen. Das betrifft verschiedene Arbeitsmarktakteure, nicht nur die Arbeitsagenturen. Zum Beispiel sollte die Schulabbruchsquote deutlich verringert werden. Personen ohne Schulabschluss haben es nach wie vor sehr schwer, im Anschluss eine Ausbildung und einen gut bezahlten Job zu finden.

Sie schreiben, dass im MINT-Bereich einiges passieren muss. Das ist im Grunde nichts Neues, schon in den Nullerjahren gab es viele Ansätze und auch schon Förderprogramme, gerade auch für Frauen. In manchen Bereichen ist das Interesse im Laufe der Jahre gestiegen, in anderen nicht und unter dem Strich ist es immer noch zu wenig.

Durch eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen könnte man fast 1,4 Mio. Personen mehr in den Arbeitsmarkt bringen. Auch bei den Älteren wäre, sogar ohne das Anheben des Renteneintritts, ein theoretisches Potential von 1,2 Mio. Personen vorhanden. Allerdings sind das gerade die Gruppen, die einen Großteil der Sorgearbeit übernehmen. Entweder in der Kinderbetreuung oder bei der Pflege von Angehörigen. Hier müsste das Betreuungsangebot noch weiter ausgebaut werden, wie zum Beispiel eine gute Tagespflege oder eine gute Ganztagsbetreuung von Kindern.

In der Pflege wurde die Wende geschafft, nicht zuletzt mit Hilfe höherer Löhne. In technischen Bereichen sind vor allem private Unternehmen für Ausbildung und Anstellung verantwortlich. Müssten diese angesichts der heranziehenden Delle an Erwerbspersonen nicht eigentlich die Löhne drastisch nach oben schrauben?

Höhere Löhne sind natürlich immer gut für die Arbeitnehmer:innen und das kann auch in einem gewissen Maße für einige Betriebe die Fachkräftesituation lindern. Allerdings ist der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter so stark, dass dies allein nicht die Lösung ist. Es werden weniger Personen für die vorhanden Arbeitsplätze da sein. Wir müssen die Potenziale von Älteren, Frauen und durch die Migration besser nutzen.

Wenn Sie Kanzler wären, was würden Sie jetzt sofort in die Wege leiten, um Deutschland beim Thema Arbeitsmarkt fit für die Zukunft zu machen?

Wir müssen verstehen, dass wir auf Zuwanderung, flexiblere Arbeitszeiten und Weiterbildung angewiesen sind. Der demografische Wandel wird sich nicht von selbst lösen und schon gar nicht durch eine einzelne Maßnahme. Die gute Nachricht ist aber, dass es zwar ein komplexes Thema ist, sich aber verschiedene Maßnahmen kombinieren lassen, um das Problem zu lösen. Es müsste einen gesamtgesellschaftlichen Wandel geben. Zum Beispiel eine Mischung aus Zuwanderung, beziehungsweise Verhinderung von Abwanderung, Weiterbildung, der leichteren Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, die Verringerung von Abbruchquoten in Bildungsstätten sowie die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren. Ein Bundeskanzler kann das nicht alleine lösen, insbesondere weil vieles auch auf föderaler Ebene angegangen werden muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

iab-forum.de/arbeitskraefteengpaesse-koennten-die-umsetzung-von-klimaschutz-und-klimaanpassung-hemmen/

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