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Bildungssystem Deutschland
„Ziel muss sein, dass Jugendliche nicht aus dem Blick geraten“

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, fordert Verbesserungen im deutschen Bildungssystem. In Deutschland würden beim Übergang von der Schule in den Beruf zu viele junge Menschen durchs Raster fallen und so auch der Wirtschaft fehlen. Doch was fordert die BDA konkret? Wir sprachen mit Lena Behmenburg, sie ist bei der BDA Referatsleiterin Bildung.

Frau Dr. Behmenburg, wenn die BDA als Spitzenorganisation der deutschen Wirtschaft sich an die Politik wendet und deutliche Verbesserungen beim Übergang Schule/Beruf fordert, hat das ja einen ökonomischen Hintergrund. Wie sehr leidet die deutsche Wirtschaft darunter, dass es hier hakt?

Der Leidensdruck ist tatsächlich gewaltig. Das zeigt sich schon daran, wie viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, weil Bewerberinnen und Bewerber fehlen. In 2024 waren das 70.000! Das sind 70.000 potenzielle Fachkräfte, die die Betriebe dringend brauchen.

Einiges von dem, was die Wirtschaft immer gefordert hat, gibt es inzwischen. Mit der Bologna-Reform sind die Hochschulabsolventen heute im Schnitt jünger, die Ausbildung ist durchlässiger geworden und bietet so mehr Karrieremöglichkeiten, außerdem gibt es viele Initiativen, um MINT-Berufe und -Studiengänge bekannter zu machen. Wo gibt es aus Ihrer Sicht noch die größten Probleme?

Wichtig ist, dass junge Menschen aus der Schule eine verlässliche Allgemeinbildung mitbringen, um gut ins Berufsleben zu starten. Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsstudien sind für Deutschland aber katastrophal: Laut PISA 2022 erreicht mehr als jeder vierte Schüler und jede vierte Schülerin am Ende der Pflichtschulzeit nicht das Mindestniveau für einen guten Start in die Ausbildung. Ziel der Schule muss es sein, ALLE Jugendlichen zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen und die Ausbildungs- oder Studienreife sicherzustellen. Dafür brauchen wir die Umsetzung der bundesweiten Bildungsstandards, eine gute Unterrichtsqualität, die hochwertige Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte und tragfähige Netzwerke vor Ort.

Nun kann man an die Politik appellieren, oder, wenn das nichts hilft, die Sache selbst in die Hand nehmen. Was können Verbände, was Unternehmen selbst tun, um mehr junge Menschen in die Ausbildung zu bekommen?

Als Verband können wir die Unternehmen dazu einladen, ihre Türen für Schülerinnen und Schüler zu öffnen und Praktika anzubieten. Das ist eine tolle Möglichkeit, um junge Menschen für einen Ausbildungsberuf zu begeistern und ihnen die Gelegenheit zu geben, die eigenen Vorstellungen des Wunschberufs zu überprüfen. Hier ist die Wirtschaft bereits sehr aktiv. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT fördert den Austausch zwischen Schulen und Unternehmen, um den Übergang Schule – Beruf für die Jugendlichen zu ebnen. Mit Handreichungen, Checklisten und Tutorials unterstützen wir die Planung und Durchführung gehaltvoller und motivierender Schülerpraktika. Die fast 400 lokalen Netzwerke bringen Schulen und Unternehmen vor Ort in den Austausch. Sie ermöglichen Betriebspraktika für Schülerinnen und Schüler wie für Lehrkräfte, Betriebserkundungen, Fortbildungen und direkte Kooperationen. Und mit dem Berufswahl-SIEGEL wurden bereits 1800 Schulen ausgezeichnet, die eine hervorragende Berufs- und Studienorientierung umsetzen.

Im BDA-Positionspaper sind auch Punkte zu finden, die die Schulen betreffen. Es solle bereits in Klasse 5 eine flächendeckende Berufsorientierung geben. Glauben Sie wirklich, dass 10-Jährige schon so weit sind, um sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft zu machen?

Auf jeden Fall! In dem Alter geht es zwar noch nicht um die eigene, konkrete Berufswahl. Aber die Schülerinnen und Schüler können Interesse für die Berufswelt entwickeln, sich mit eigenen Zielen auseinandersetzen und lernen, persönliche Fähigkeiten und Stärken einzuschätzen. Das funktioniert altersgerecht und praxisnah natürlich am besten. Zum Beispiel mit einem Schulbesuch bei der Feuerwehr, einem Handwerksbetrieb nebenan oder indem Eltern in der Klasse anschaulich über ihre Berufe berichten.

Ein Punkt in dem Papier betrifft Studierende, die sich irgendwann unsicher sind, ob das Studieren für sie noch das richtige ist. Ihnen solle man mit einer verkürzten Ausbildung den Wechsel schmackhaft machen. Haben Sie das Gefühl, dass diese Forderung in den Betrieben eine breite Zustimmung findet?

Ja, denn die Betriebe brauchen motivierte Auszubildende so dringend wie nie zuvor. Wenn diese schon theoretisches Vorwissen aus einem Studium mitbringen – umso besser. Und wenn jemand sich dazu entschließt, sein Studium zu beenden und eine Ausbildung zu beginnen, ist das eine bewusste Entscheidung. Da hat sich jemand aktiv mit seiner bzw. ihrer Berufswahl auseinandergesetzt. Und das ist ein wichtiger Schritt, um eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Mit Abitur oder Fachhochschulreife kann eine Ausbildung übrigens grundsätzlich verkürzt werden. Voraussetzung ist nur, dass beide – Ausbildungsbetrieb und Auszubildender – dies wollen.

Sie fordern auch, beim Übergang Schule/Beruf die Nutzung von Daten zu optimieren, also auch die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit zu optimieren. Was sind hier die Vorstellungen der Arbeitgeber?

Kein junger Mensch darf beim Übergang Schule/Beruf verloren gehen. Damit Arbeitsagenturen auch jungen Menschen ohne Anschlussperspektive Angebote machen können, müssen die Bundesagentur für Arbeit und die Länder den Datenaustausch verbessern und insbesondere die Schülerdatennorm konsequent nutzen. Schulen übermitteln die relevanten Daten zu Schülerinnen und Schülern an die Arbeitsagenturen, aber auch eine Rückübertragung muss möglich sein, falls die Berufsberatung die Jugendlichen nicht erreicht. Ziel muss sein, dass Jugendliche nicht aus dem Blick geraten und durchs Raster fallen, sondern ihren Weg in die Berufswelt finden.

Wie rund lief das damals bei Ihnen beim Thema Berufsorientierung? Waren Sie sich schnell sicher, in welche Richtung es gehen soll? 

Mein Berufsweg hat sich über viele Umwege ergeben. Mir war lange Zeit überhaupt nicht klar, in welchem Bereich ich arbeiten möchte. Über mehrere Praktika habe ich schließlich herausgefunden, was das Richtige für mich ist. Mein Rat: Wer unsicher ist, sollte einfach Vieles ausprobieren!

Zum BDA-Positionspapier

© Foto: BDA

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