Neue Berufe
“Ein Beruf darf niemals eine Sackgasse sein”
In Deutschland gibt es aktuell 328 Ausbildungsberufe nach Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung. Es werden immer wieder auch neue Berufe ins Ausbildungsangebot aufgenommen. Bei anderen verändern sich die Ausbildungsinhalte, das Angebot passt sich laufend den Anforderungen des Marktes an. Aber woher kommen die Impulse für neue Ausbildungsberufe, Streichungen oder Veränderungen? Verantwortlich sind auch die Gewerkschaften. Wir fragten nach bei Stefan Gaede-Seiler, er ist Gewerkschaftssekretär und Referent für Berufsbildungspolitik/Neuordnungen in der ver.di-Bundesverwaltung.
Herr Gaede-Seiler, für den Erlass von Ausbildungsberufen sind im Bund die jeweils zuständigen Fachministerien und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zuständig. Bevor Ausbildungsordnungen jedoch erlassen werden können, müssen sie erarbeitet werden. Diese Arbeit übernehmen auch Sachverständige der Arbeitnehmerseite, die Gewerkschaften. Wie groß ist der Einfluss Ihrer Gewerkschaft ver.di tatsächlich, wenn es um Änderungen im Ausbildungsangebot geht?
Wir als Gewerkschaft machen unseren Einfluss bei der Ausgestaltung von Ausbildungsordnungen absolut geltend, allerdings muss eine Veränderung immer im Konsens zwischen den Sozialpartnern verabredet werden. Wenn also kein Konsens über Veränderungen oder die Etablierung neuer Ausbildungsberufe besteht, kommt es auch nicht dazu. Insofern sind wir als Gewerkschaft gefordert, uns mit Veränderungen am Arbeitsmarkt und den veränderten Arbeits- und Geschäftsprozessen auseinanderzusetzen. Nur so können wir schnell und proaktiv handeln.
Woher kommt dieser Input? Sprechen Sie mit Arbeitnehmern konkret über ihren Job und darüber, ob man ihn modernisieren müsste? Bzw. auch darüber, ob man ihn besser abschaffen sollte? Und wie entsteht die Idee, einen komplett neuen Ausbildungsberuf ins Leben zu rufen?
Unser Anker in den Betrieben und Dienststellen sind vor allem die betrieblichen Akteur:innen. Dazu gehören Jugend- und Auszubildendenvertreter:innen, Betriebs- und Personalrät:innen und Ausbilder:innen. Diese sind tagtäglich mit Veränderungen konfrontiert, sei es, durch neue technische Innovationen oder sonstige arbeitsorganisatorische Veränderungen. Wir fragen dann, ob diese Veränderungen sich auch in der aktuellen Ausbildungsordnung widerspiegeln sollten. Wird dies bejaht, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Ausbildungsordnung neugeordnet werden muss. Es ist also nicht so, dass wir im Elfenbeinturm entscheiden, dass wir einen Beruf neuordnen oder einen neuen Beruf etablieren wollen, wenn dies im betrieblichen Alltag keine Rolle spielt. Dennoch muss man sich auch grundsätzliche Gedanken machen, um die berufliche Bildung attraktiv und zukunftsfest zu halten. Zum Beispiel ist die Frage berechtigt, warum es so eine große Vielzahl an kaufmännischen Berufen gibt. Hier bedarf es meines Erachtens auch einer Diskussion darüber, ob es zu mehr Vereinheitlichung kommen sollte.
Wie muss man sich dann den Austausch mit den Sozialpartnern vorstellen? Wird da viel über Ausbildungsinhalte gestritten?
Es kommt schon vor, dass kontrovers diskutiert wird. Im Vordergrund stehen dabei aber immer fachliche Diskussionen unter betrieblichen Vertreter:innen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite. Diese wissen jeweils am besten, was sich geändert hat und verändern muss. Dabei fokussieren wir uns darauf, was die künftigen Fachkräfte und Kolleg:innen brauchen, um gut ins Arbeitsleben zu starten und dort nicht nur kurzfristig tätig zu sein. Ein Beruf darf niemals eine Sackgasse sein, sondern muss auch Möglichkeiten schaffen, in anderen Branchen tätig sein werden zu können.
Was ist, wenn die Nachfrage der Schulabgänger:innen nach einem neuen Ausbildungsberuf eher mau ist? Wird dann schon mal nachgebessert?
Das ist eine gute Frage. So häufig kommt es nicht vor, dass neue Berufe etabliert werden. Vielmehr verändern sich Berufe mit der Zeit, vollkommen neue Berufe entstehen nicht so regelmäßig. Bei der Implementierung neuer Ausbildungsberufe sollte aber auch im Vorfeld quantitativ abgesichert sein, dass an diesen Berufen auch tatsächlich Interesse besteht. Wir sprechen immer von einer belastbaren Zahl von jungen Menschen, die den Beruf dann auch erlernen wollen und sollten. Bei der Beantragung wird seitens der Ministerien immer gefragt, ob es eine belastbare Zahl von ausbildungsinteressierten Menschen gibt. Ich selbst kann mich an einen neuen Beruf erinnern, der nach seiner Implementierung sehr gute Akzeptanz erfahren hat. Das waren die Kaufleute im E-Commerce. Wenn die Zahlen der Interessierten dann mal abnehmen, wird nicht an der Ausbildungsordnung nachgebessert, sondern dann müssen seitens der Betriebe Maßnahmen ergriffen werden, um die Zahl an Interessierten zu steigern. Berufe, die aufgrund zeitweise abnehmender Zahlen grundsätzlich nicht angenommen wurden, sind mir in meiner Zeit nicht untergekommen.
© Foto: Kay Herschelmann