Interview mit Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport
„Die Berufliche Orientierung muss selbstverständlicher Teilbereich der Bildung sein“
Vor gut einem Jahr wurde in Stuttgart das „Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses 2023 bis 2027″ unterzeichnet. Es soll der beruflichen Orientierung im Land zusätzlichen Schwung verleihen und die Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel verstärken. Was ist seitdem passiert? Wir hakten nach bei Kultusministerin Theresa Schopper.
Frau Schopper, am 4. Mai 2023 trafen sich auf einer Treppe im Ministerium Vertreter*innen zahlreicher Institutionen zum Gruppenbild, kurz vorher hatten sie eine Vereinbarung zur Stärkung der beruflichen Orientierung unterschrieben. Können Sie zusammenfassen, welche Maßnahmen seitdem schon angelaufen sind?
Wie im Bündnispapier angekündigt, haben wir umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Berufliche Orientierung zu stärken. Dazu gehören zum Beispiel im schulischen Bereich vermehrte Schnupperpraktika, Bildungspartnerschaften mit Betrieben, Schulbesuche von Auszubildenden. Die gemeinsamen Vorhaben und Neuerungen haben wir im Umsetzungskonzept für eine zukunftsfähigere Berufliche Orientierung in allen Schularten mit den Partnern der Beruflichen Orientierung vereinbart. Es ist essenziell, dass die Jugendlichen bei der Berufswahl gut unterstützt werden und sie die große Bandbreite an Ausbildungs- und Studiermöglichkeiten sowie Karriereperspektiven aufgezeigt bekommen. Besonders herausgreifen möchte ich die Initiative „Praktikumswochen BW“, die wir bereits bis 2025 den Schulen und Betrieben zusagen konnten. Damit haben wir ein hervorragendes Instrument, um jungen Menschen wertvolle Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Parallel haben wir gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung weiterentwickelt. Das bedeutet, dass Schule und Berufsberatung noch enger zusammenwirken und beispielsweise die individuelle Berufsberatung für die Schülerinnen und Schüler direkt an den Schulen intensiviert werden soll. Ansonsten haben wir an vielen Schrauben gedreht, wie beispielsweise an der Einführung der datengestützten Qualitätsentwicklung für die Berufliche Orientierung oder an Änderungen im Schulgesetz.
Das Ausbildungsbündnis nennt sich so, weil gerade die Ausbildung von den Maßnahmen profitieren soll. Junge Menschen und Betriebe sollen schneller zueinanderfinden und auch länger zusammenbleiben. Gibt es schon messbare Erfolge, die auf die neuen Maßnahmen zurückgeführt werden können?
Um zukünftig besser einschätzen zu können, wie erfolgreich die Berufliche Orientierung an unseren Schulen tatsächlich ist, haben wir im Jahr 2023 erstmals eine landesweite Erhebung der Anschlussperspektiven der Absolventinnen und Absolventen der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen eingeführt. Die Übergangsquote direkt in eine berufliche Ausbildung lag dabei landesweit bei 38 Prozent. Das ist schon mal gut, aber offensichtlich gibt es hier noch Luft nach oben. Auf diesem Wert bauen wir auf und wollen ihn durch die vielfältigen intensivierten Maßnahmen weiter verbessern. Dass junge Menschen und Betriebe schneller zueinanderfinden, ist auch ein Ziel des Matching-Tools, das wir bei den bereits genannten „Praktikumswochen BW“ erfolgreich einsetzen. Hier finden über die Praktikumsvermittlung Betriebe und Jugendliche unmittelbar zusammen – vergleichbar mit den bekannten Dating-Plattformen. Eine klasse Chance, um aus einem Schnupperpraktikum am Ende womöglich einen Ausbildungsplatz zu machen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte damals, dass künftig die Berufsorientierung noch stärker in den Blick genommen werde. Was ist Ihrer Meinung hier in der Vergangenheit nicht ganz so optimal gelaufen? Dass zu viele junge Menschen an die Hochschulen gehen wollen?
Trotz umfangreicher Anstrengungen sowohl unserer Schulen wie auch unserer Partner in der Beruflichen Orientierung gelingt die rechtzeitige Orientierung – auch angesichts der Vielzahl an beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten mit knapp 330 Ausbildungsberufen und mehr als 11.000 Studiengängen – nicht immer. Es gibt noch zu viele junge Menschen, die länger als nötig im Schul-, Ausbildungs- und Studiensystem verweilen oder ihre Ausbildung beziehungsweise das Studium abbrechen. Hier setzen wir gemeinsam an, indem wir die Berufliche Orientierung als fächerübergreifende Teamaufgabe an Schulen betrachten. Sie muss im Schulalltag selbstverständlicher Teilbereich der Bildung sein, zum Beispiel durch einzelne Praktikumstage während der Unterrichtszeit, durch Klassenbesuche auf Bildungsmessen oder an Hochschulen. Dabei möchten wir für die berufliche und akademische Bildung als gleichwertige Möglichkeiten bei den jungen Menschen und in ihrem familiären Umfeld werben.
Wo könnte man noch ansetzen?
Es ist immer sinnvoll, auf allen Ebenen ständig nach Optimierungspotenzial zu schauen. Die Schulen arbeiten bei der Beruflichen Orientierung Hand in Hand mit den Betrieben. Nur gemeinsam gelingt es uns, den Schülerinnen und Schülern ausreichend Einblicke, eigene Erfahrungen und Informationen zu den Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt und den jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Berufe zu gewähren. Gemeinsam haben wir uns vorgenommen, die attraktiven Karrieremöglichkeiten über eine duale Ausbildung noch bekannter zu machen. Dazu braucht es die Tatkraft von allen Beteiligten – seitens der Politik, der Schulen aber auch seitens der Betriebe, wo unsere Schülerinnen und Schüler ihre ersten beruflichen Erfahrungen machen und wo der Grundstein für ihre Zukunft gelegt wird. Eine große Verantwortung, die wir uns bewusst machen müssen, um dem Fachkräftemangel künftig wirksam entgegen treten zu können.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schopper.
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