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Energiewende
„Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden – dafür brauchen wir Fachkräfte!“

Kaum eine andere Branche boomt so sehr, was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft: Seit 2019 hat sich die Anzahl der Stellen rund um die erneuerbaren Energien mehr als verdoppelt. Die Fachkräftelücke wird immer größer und das bremst die Energiewende, wie das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) in einer Studie zeigt. Welche Chancen ergeben sich daraus für Schulabgänger*innen? Wir sprachen mit Paula Risius und Jurek Tiedemann.

Frau Risius, Herr Tiedemann, mit der Abschwächung der Wirtschaft sind nach Ihren Zahlen bestehende Fachkräftelücken in vielen Bereichen der Wirtschaft kleiner geworden, der Fachkräftemangel hat sich insgesamt etwas abgeschwächt. Dieser Zusammenhang klingt ja auf den ersten Blick logisch, die Firmen stellen in Krisenzeiten weniger ein oder entlassen gar. Sie haben aber mehrere Blicke auf einzelne Branchen und Berufe geworfen. Welche Veränderungen bei den einzelnen Fachkräftelücken hat selbst Sie beide überrascht?

Risius: Insgesamt sind die Engpässe kleiner geworden – wir haben aber immer noch in vielen Bereichen einen deutlichen Fachkräftemangel. Da, wo die Nachfrage nicht von der Konjunktur abhängt – Gesundheits- und Sozialberufe, aber auch Recht und Verwaltung – überrascht uns das wenig. Spannend fanden wir aber, dass trotz Konjunkturabschwung in Produktions- und Fertigungsberufen weiterhin jede zweite Stelle unbesetzt bleibt. Auch, dass die Engpässe im Informatikbereich stark zurückgegangen sind, ist auffällig. Das kann man aber gut erklären: In der Krise fahren viele Unternehmen aufwendigere IT-Projekte zurück.

Ihnen fiel aber auch auf, dass der Fachkräftemangel in Jobs rund um die Energiewende deutlich zunimmt, ist das richtig?

Tiedemann: Genau. In vielen Berufen, die für die Energiewende benötigt werden, sehen wir mehr Engpässe, vor allem bei Fachkräften mit Ausbildungsabschluss. Die größte Veränderung gab es im Rohrleitungsbau, der Schweiß- und Verbindungstechnik und der elektrischen Betriebstechnik. Auch in der Bauelektrik – die mit mehr als 18.000 fehlenden Fachkräften der Beruf mit den größten Engpässen ist – fehlen im Vergleich zum Vorjahr nochmal mehr Leute. Dabei spielt auch eine Rolle, dass in zahlreichen Berufen demografiebedingt viele Ältere ausscheiden und weniger Jüngere nachkommen.

Steht also zu befürchten, dass der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien nach den Kreditbeschlüssen im März nicht am Geld scheitert, sondern an fehlenden Leuten?

Risius: Naja, zumindest macht der Fachkräftemangel die Energiewende nicht leichter. Wir beobachten aber, dass viele Unternehmen große Anstrengungen unternehmen, um Fachkräfte zu finden und an sich zu binden. Einige werden dabei auch kreativ und gehen neue Wege, beispielsweise, indem sie Quereinsteiger aus anderen Berufen einstellen. Auch die „klassischen“ Wege wie zum Beispiel die Ausbildung von Jugendlichen oder die Weiterbildung bereits beschäftigter Mitarbeitender nutzen sie weiterhin. Eine fundierte Qualifizierung ist nach wie vor eine zentrale Stellschraube zur Fachkräftesicherung.

Nun unterstützt das KOFA ja kleine und mittlere Unternehmen, Fachkräfte zu finden. Der Bereich Ausbildung wird hier sicher eine große Rolle spielen. Wie können Firmen junge Menschen überzeugen, eine Karriere rund um die Energiewende einzuschlagen? Welche Strategie hat sich bewährt?

Tiedemann: Ganz grundsätzlich sollten sich Jugendliche für einen Beruf entscheiden, der ihnen wirklich liegt und in dem sie langfristig glücklich sind. Dafür brauchen sie ein authentisches Bild, und zwar idealerweise von ganz vielfältigen Berufen, aber genauso von ihren eigenen Stärken und Interessen. Unternehmen können sie dabei unterstützen. Wichtig ist es, jungen Leuten realistische Karriereperspektiven aufzuzeigen und ein gutes Bild von Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu vermitteln. Außerdem können Unternehmen gerade in technischen Berufen viel gewinnen, wenn sie es schaffen, junge Frauen für ihre Berufe zu gewinnen. Dafür ist eine geschlechtersensible Ansprache nötig und Unternehmen können die Mädchen darin stark machen, ihre Begabungen auch in „Jungs-typischen“ Bereichen stärker wahrzunehmen.

Auf dem Weg zur Energiewende gibt es in den nächsten Jahren an allen Ecken und Enden viel zu tun, aber wie lange hält der Fachkräftemangel Ihrer Meinung nach an? Können sich junge Menschen, die heute eine Ausbildung beginnen, sicher sein, dass der Trend anhält und ihr Job auf Jahre sicher ist?

Risius: Der Fachkräftemangel wird uns noch lange beschäftigen, auch in den Berufen der Energiewende. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden, das heißt: Bis dahin muss die Infrastruktur stehen, und die Weichen dafür sind im Groben gestellt. Dafür brauchen wir Fachkräfte. Auch im Anschluss wird aber genug zu tun sein, denn dann muss der Standard ausgebaut, die Anlagen gewartet, die Technik weiterentwickelt werden. Der Bedarf wird weiterhin hoch bleiben, dazu wird nicht zuletzt auch der demografische Wandel beitragen. Und durch die technikneutrale Gestaltung der Ausbildungsberufe ist, sollten alle Stricke reißen, auch ein Wechsel in verwandte Tätigkeiten möglich.

Stichwort Recherche bei der beruflichen Orientierung: Was raten Sie Schulabgänger*innen, die bei der Energiewende mitmachen möchten und einen Ausbildungsplatz oder einen dualen Studiengang suchen: Wie findet man die Firmen, die hier ganz groß mitmischen?

Tiedemann: Die „ganz Großen“ muss man gar nicht unbedingt finden. Gerade für die Energiewende und Umweltschutz im Allgemeinen leisten zum Beispiel kleine Handwerksbetriebe wichtige Arbeit, etwa bei energetischen Sanierungen oder beim Wärmepumpenausbau. Auch deren Beiträge brauchen wir dringend, um klimaneutral zu werden. Die Chancen auf einen Platz stehen gut – denn viele Unternehmen suchen vergeblich nach Auszubildenden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur KOFA-Studie

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