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Im Gespräch: Jens Brandenburg, BMBF
„Die Schule ist der zentrale Ort für die frühe Berufsorientierung junger Menschen“

Die Bundespolitik hat die Berufsorientierung, unter anderem auch an Schulen, unverkennbar zum großen Strategiethema erklärt, obwohl das Thema zum Teil eigentlich Ländersache ist. Im Dezember 2022 stellte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die „Exzellenzinitiative Berufliche Bildung“ vor, die mit 750 Mio. Euro die Ausbildung stärken soll. Und im Januar erklärte Arbeitsminister Hubertus Heil gleich in mehreren Talkrunden, wie wichtig die Berufsorientierung bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels für ihn sei. Wir baten Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, um etwas Aufklärung bei der Frage, welche Rolle der Bund künftig bei der BO spielen kann.

Herr Dr. Brandenburg, die Berufsorientierung war schon im letzten Bundestagswahlkampf immer wieder ein Thema und dann fand sie auch ihren Platz im Koalitionsvertrag. Jetzt hat Ihr Ministerium mit der Exzellenzinitiative richtig Geld für die Stärkung der Ausbildung locker gemacht und bekommt dafür auch viel Lob. Wie finden das die eigentlich dafür zuständigen Länder, wenn Berlin jetzt in der Berufsorientierung mithelfen möchte?

In der Berufsorientierung arbeiten Bund und Länder längst zusammen. Vor rund 15 Jahren einigten sich Bund und Länder auf gemeinsame Ziele für die berufliche Orientierung. Das war der Startschuss für das Berufsorientierungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung wollen wir der Berufsorientierung nun einen deutlichen Schub geben und gemeinsam die Stärkung der Berufsorientierung in Deutschland vorantreiben. Einen neuen Schwerpunkt legen wir dabei auf den Ausbau der Berufsorientierung auch an Gymnasien.

Viele Bundesländer haben über Jahre und Jahrzehnte umfangreiche Programme und Pläne entwickelt, was an den Schulen in der beruflichen Orientierung passieren soll. Und auch in den Ländern ist die Bereitschaft groß, die Ausbildung beliebter zu machen. Nun fallen diese Programme je nach Bundesland aber unterschiedlich aus. Hat Ihr Bundesministerium hier den Überblick, wie und wo Einfluss auf Länderinitiativen genommen werden kann?

Mit der Initiative Bildungsketten stimmen Bund und Länder ihre Aktivitäten, Programme und Förderinstrumente am Übergang Schule-Beruf aufeinander ab. Damit werden Jugendliche im Übergang von der Schule in die Ausbildung und Beruf zielgruppenorientiert unterstützt. Mittlerweile hat sich die Initiative zu einem zentralen Kooperationsmodell des Bundes, der Bundesagentur für Arbeit und der Länder entwickelt. Zentrale Handlungsfelder sind neben der beruflichen Orientierung die individuelle Unterstützung in der Schule, am Übergang in eine Berufsausbildung oder in ein Studium sowie während der Ausbildung.

Bundesminister Hubertus Heil sagte am 12. Januar bei Markus Lanz, dass Änderungen in der Berufsorientierung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beitragen könnten. Er erwähnte dabei auch die Eltern, die in vielen Fällen eine akademische Ausbildung der dualen vorziehen würden, auch dies verstärke das Problem. Nun sieht auch die Initiative Ihres Ministeriums vor, vor allem Abiturient:innen ans Herz zu legen, mehr über eine Ausbildung nachzudenken. Kann man es den Eltern verdenken, ihrem Nachwuchs ein Studium zu empfehlen? Die Verdienstmöglichkeiten sind auf lange Sicht höher und über Jahrzehnte lag die Arbeitslosenquote bei Akademikern am niedrigsten.

Vor allem in akademischen Elternhäusern werden die großen Chancen der beruflichen Bildung oft unterschätzt. Sie ist vielseitig, anspruchsvoll und bietet allerbeste Karriere- und Verdienstchancen. Mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung wollen wir das sichtbarer machen und noch mehr attraktive Karrieremöglichkeiten schaffen, die auch Leistungsstarke ansprechen. Wir brauchen nicht nur kluge Köpfe und theoretische Innovationen, sondern auch fleißige Hände, die das in ganz praktische Anwendungen, Produkte und Dienstleistungen übersetzen können. Wer Freude am Beruf hat und auch nach der Erstausbildung am Ball bleibt, dem stehen alle Türen offen. Exzellenz gibt es nicht nur an den Hochschulen, sondern auch und gerade in der beruflichen Bildung.

An den Schulen fehlen Lehrer:innen, und viele, die in dem Beruf arbeiten, empfinden einen sehr ungesunden, weil anhaltenden Stress. In vielen Schulen muss die Arbeit, die bei der beruflichen Orientierung anfällt, zusätzlich und nebenbei bewältigt werden. Sollte dafür nicht mehr Zeit eingeräumt werden, weil es für die Zukunft des Landes allgemein immer wichtig wird, was da ganz konkret an den Schulen passiert? Hätten Sie eine Idee, wie man das an den Schulen noch besser organisieren könnte?

Die Schule ist der zentrale Ort für die frühe Berufsorientierung junger Menschen. Zusammen mit den Eltern begleiten sie die Jugendlichen in dieser sensiblen Lebensphase dabei, ihren beruflichen Orientierungsprozess aufzunehmen und dann auch am Ball zu bleiben. Unsere Programme und Maßnahmen beim BMBF unterstützen die Schulen bei dieser Aufgabe. Mit dem Berufsorientierungsprogramm bieten wir die Möglichkeit, dass sich Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Potenzialanalysen und Werkstatttagen frühzeitig ihre Interessen und Stärken entdecken können. Außerdem haben wir digitalen Angebote entwickelt, die Lehrkräfte in Ihrer Arbeit nutzen können. Zum Beispiel die Berufswahlapp. Im Januar ist zudem der Wettbewerb D-BOP für digitale Berufsorientierung gestartet. Ausgezeichnet werden innovative digitale Angebote, die junge Menschen bei der Beruflichen Orientierung unterstützen. Die Angebote sollen Jugendlichen helfen, eigene Kompetenzen und Interessen mit digitaler Technologie zu erkunden.

Um Jugendliche für die betriebliche Ausbildung zu begeistern, ist schon vieles versucht worden. Agenturen haben Millionen dafür bekommen, um mit Plakaten für das Handwerk zu werben, Unternehmen versuchen es mit Jugendsprache, mit Ansprache über Social Media und mit emotionalen Messeauftritten. Nichts fruchtet so wirklich, der Trend ist seit vielen Jahren rückläufig, auch wenn es jetzt leicht anzieht. Hinzu kommt, dass jede/r Fünfte die Ausbildung abbricht. Welche Top-3-Ratschläge für eine Renaissance der Ausbildung liegen im Köcher von Jens Brandenburg?

Aus unseren zahlreichen Modellprojekten im Bereich der Berufsorientierung konnten wir viele Erkenntnisse zum Thema Berufswahl und Attraktivität der dualen Ausbildung ziehen. Meine Top 3 sind: Erstens, vergesst die Eltern nicht. Sie sollten noch besser über die Chancen und Perspektiven der dualen Ausbildung informiert und in den Prozess der Berufsorientierung eingebunden werden. Zweitens müssen gerade Jugendliche, die sozial benachteiligt sind und häufig wenig Unterstützung haben, möglichst eng im Berufsorientierungsprozess begleitet werden. Sie brauchen Vorbilder und Mentoren. Drittens, es braucht mehr persönliche Kontakte zwischen Jugendlichen und Betrieben, beispielsweise über Praktika oder Azubi-Botschafter. Keine Slideshow oder Hochglanzbroschüre kann die Erfahrung ersetzen, selbst einmal in einer Werkhalle zu arbeiten oder in authentischer Jugendsprache mit jungen Auszubildenden zu sprechen, die aus dem Alltag berichten und für ihren Beruf begeistern.

Ihre Eltern leiteten einen gastronomischen Betrieb. Wie konnte es passieren, dass eine Ausbildung für Sie nicht in Frage kam und Sie stattdessen Akademiker, dann Berater und schließlich auch noch Politiker wurden? Mussten Sie damals den großen Aufstand wagen?

Mein Bruder, der selbst eine Schreinerlehre absolviert hat, würde mich mit meinen zwei „linken Händen“ niemals in seine Werkstatt lassen. Vielleicht war es also mangelndes Talent. Ich bin froh, dass meine Eltern uns keinen Weg vorgegeben, sondern uns immer nach eigenen Interessen und Stärken gefördert haben. Die praktische Erfahrung im Familienbetrieb erdet mich bis heute in den manchmal sehr abstrakten Debatten der Berliner Politik-Bubble. Aber die Wissenschaft und das politische Engagement waren immer meine große Leidenschaft. Es geht auch nicht um Studium gegen Ausbildung. Mögliche Bildungswege sollten aber immer so vielfältig sein, wie die Menschen selbst. Und der Weg in die Politik darf nicht nur über das Studium führen. Auch daran arbeiten wir.

Vielen Dank, Herr Dr. Brandenburg, für das Gespräch!

https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/strategie-und-zusammenarbeit/exzellenzinitiative-berufliche-bildung/exzellenzinitiative.html

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