Was um die Jahrtausendwende erst so langsam anlief, ist aus der Berufsorientierung schon lange nicht mehr wegzudenken: Orientierungsmessen helfen, Kontakte zu knüpfen und Branchen, Ausbildungen und Studiengänge kennenzulernen. Das Kölner Unternehmen Einstieg ist seit 2001 als Veranstalter in mehreren deutschen Städten aktiv. Rückschau und Ausblick mit Judith Strücker aus der Geschäftsleitung der Einstieg GmbH.
Frau Strücker, wenn man einmal die Horizon-Messen Ihres Partnerunternehmens SCOPE dazu nimmt, stehen dieses Jahr 14 Messen auf Ihrer Terminliste. Fast an jedem der Standorte ist ihr Unternehmen seit vielen Jahren am Start. Was ist heute spürbar anders als in den Nuller-Jahren?
Schüler:innen am Übergang Schule/Beruf sind heute noch viel begehrter als vor 20 Jahren. Der Fachkräftemangel fängt schon bei den Azubis an und der Arbeitgebermarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt verwandelt. Das wissen auch die Besucher:innen unserer Messen. Sie sind gefragt und mit halbwegs guten Schulnoten können sie es sich heute aussuchen, wo sie eine Ausbildung machen möchten. Das war vor 20 Jahren noch anders. Dazwischen liegt ein Generationenwechsel. Wo die Generation Y noch ein unbezahltes Praktikum nach dem anderen absolvierte, um übernommen zu werden, haben selbst die jüngsten Arbeitnehmer:innen heute die süße Qual der Wahl.
Als im Frühjahr 2020 Corona über uns kam, war erst mal Schluss mit dem Messegeschäft und zwar für lange Zeit. Wie sieht Ihr Rückblick auf diese Zeit aus?
Unter Corona ging gefühlt täglich ein Online-Event live. Alle haben versucht, den persönlichen Kontakt mittels Videochat zu ersetzen. Unternehmen und Hochschulen zeigten auch reges Interesse an digitalen Formaten, aber es haperte gewaltig an der Besucherseite. Schüler:innen haben heute zwar alle ein Smartphone, aber wer selbst junge Zielgruppe zuhause sitzen hat, weiß: sie telefonieren nicht damit. Das bedeutet: Sie sind gewohnt, nur „on demand“ zu kommunizieren. Ein spontaner Videocall, in dem man sofort mit einem fremden Menschen sprechen muss und dabei auch noch gesehen wird, überforderte sie total. Hinzu kam, dass sie nach Stunden im Homeschooling keine Lust hatten, sich nachmittags nochmal freiwillig vor den Laptop zu setzen. Jetzt freuen wir uns darüber, dass sich nun wieder Ausbilder, Hochschulberater:innen und Schüler:innen bei uns kennenlernen können. Es geht halt doch nichts über den persönlichen Eindruck.
Vor 20 Jahren war Online natürlich auch schon ein Thema, aber es begleitete das Messegeschäft eher. Inzwischen geht ohne Internet im Recruiting überhaupt nichts mehr, im Laufe der Jahre kamen noch die Social Media-Kanäle hinzu. Kann es sein, dass gerade im Azubi- und Studienmarketing nichts für sich allein funktioniert, dass also jeder Kanal bzw. jede Plattform so große Schwächen hat, dass andere gebraucht werden? Oder würde das Messegeschäft ohne Social Media und Online laufen?
Das Messegeschäft würde auch ohne Social Media und Co. laufen, aber der Arbeitgeberauftritt nicht. Will man in der Ausbildungs- oder Studienwahl der jungen Leute eine Rolle spielen, muss man ihnen zumindest bekannt sein. Dazu ist es wichtig, multimedial in Erscheinung zu treten. Nur so kann man seine Ausbildungsmarke erlebbar machen. Häufig werden wir gefragt, ob wir beim Aufbau eines Social Media-Kanals helfen können. Können wir. Aber bevor man sich an TikTok wagt, sollte die Recruiting-Website zielgruppenspezifisch optimiert sein, die Bildwelt stehen, die Stellenanzeigen und Berufsbeschreibungen top getextet sein. Wer hinter all das einen Haken machen kann, der kann sich auch an Tiktok wagen. Denn alle Social Media-Kanäle linken ja auf ein Ziel hin, brauchen eine Heimatadresse. Und wenn es da, also auf der Recruitingseite, schon holpert, zäumt man das Pferd von hinten auf.
Als einer der überregionalen Veranstalter haben Sie in ganz Deutschland Kontakt zu den Schulen. Sie kündigen dort die Messen an und helfen den Lehrer:innen bei der Vorbereitung des Messebesuchs. Wie wichtig ist den Schulen inzwischen der Messebesuch im Rahmen der beruflichen Orientierung?
Schulen werden überrannt von diversen Anbietern, die versprechen, in der Berufsorientierung zu unterstützen. Das heißt, wir versuchen wirklich nachhaltige und gute Beziehungen zu Schulen aufzubauen und zu pflegen. Wir wollen der Partner der Schulen in der Berufsorientierung sein und die BO-Lehrer mit unseren Angeboten entlasten. Wenn das gelingt, sind wir den Schulen eine große Hilfe, die dankbar angenommen wird.
Es gibt nicht wenige, die die Schuld für den Fachkräftemangel bei falschen Weichenstellungen in der Berufsorientierung sehen. Hier sticht vor allem der Vorwurf hervor, zu viele Schüler: innen würde man zu einem Studium überreden, obwohl vielleicht eine Ausbildung besser gepasst hätte. Haben es teilweise auch die Firmen selbst versäumt, sich richtig zu verkaufen?
Jein. Es gab halt große Kampagnen, um das Studium zu attraktivieren. Das hat funktioniert und dazu geführt, dass unsere Besucher:innen – und ihre Eltern – heute teilweise sagen, sie wüssten zwar noch nicht, was sie mal machen wollen, aber ein Studium sei der Weg dahin. Schwierig. Meiner Meinung nach ist es nicht nur die Aufgabe der Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft und der Politik, die berufliche Bildung zu stärken. Dass man sich um die jungen Leute bemühen muss, ist bei den meisten Unternehmen aber angekommen. Der Haltung „Die sollen doch froh sein, dass sie zu uns kommen können“ begegnen wir glücklicher Weise nur noch selten. Viele Unternehmen geben sich bewusst große Mühe, zielgruppengerecht und auf Augenhöhe ihre Azubis und Studierenden in spe anzusprechen. Und wir helfen ihnen gerne dabei!
Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Strücker!
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