Wie lässt sich das Interesse an einer Ausbildung steigern? Was müsste besser laufen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen? Wer könnte das besser wissen als diejenigen, die das Problem jeden Tag auf dem Schreibtisch liegen haben: Die Menschen von der Bundesagentur für Arbeit. Wir unterhielten uns mit Anja Schmiedeke, sie ist Expertin für Ausbildung und Studium sowie Leiterin des Bereichs Ausbildungsmarkt in der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit.
Frau Schmiedeke, der Fachkräftemangel rückt trotz anderer großer Themen immer mehr in die Schlagzeilen. Täuscht dieser Eindruck, dass sich die Situation momentan verschärft?
Es gibt eine Wende am Ausbildungsmarkt. Diese hat sich lange angekündigt und hat vor allem demographische Gründe. Wir hatten in den Jahren zuvor einen, wie wir es nennen, “Stellenmarkt“. Das heißt: Es gab mehr junge Menschen, die sich für eine Ausbildung interessierten als Stellen. Zu einem annähernden Ausgleich zwischen Bewerberinnen und Bewerbern zu Ausbildungsangeboten ist es dann in NRW zum ersten Mal im Jahr 2018 gekommen. In einigen Bundesländern gab es diesen Trend schon vorher. Dadurch ist es für Unternehmen deutlich schwieriger geworden, Auszubildende zu finden und durch Nachwuchs ihren Fachkräftebedarf zu decken. Hinzu kommt, dass einige Berufe sehr beliebt sind, andere hingegen kaum bekannt. Hier kommt es also auf eine gute Information der jungen Menschen an.
Ein Lösungsansatz könnte ja sein, Berufe mit sehr großem Fachkräftemangel noch viel stärker als bisher bei Schulabgänger:innen zu bewerben. Viele sagen: Klingt einfach, ist es aber nicht. Was sagen Sie dazu?
Zentral für junge Menschen bei der Berufswahl ist die Frage: Was passt zu meinen Talenten und Neigungen? Eine gute Antwort gibt es nicht, ohne auch eher unbekannte Berufe auf den Radar zu bekommen. Hier liegen häufig ganz unentdeckte Chancen. Das ist unser Job und der aller Erwachsenen, die in der Familie, der Schule oder in den Kammern diese Informationen weitergeben können. Daher ist eine gute Berufsorientierung an den Schulen auch so wichtig – und wir sehen auch, dass sie wirkt. Klar wollen junge Männern nach wie vor KFZ-Mechatroniker werden. Doch lassen sich viele mittlerweile auch eher zu anderen Berufen beraten. Diese wachsende Offenheit gilt für beide Geschlechter. Immer mehr Schülerinnen interessieren sich für technische Berufe. Sicher, es könnten gerne noch mehr sein. Doch kommt langsam etwas in Bewegung. Was uns hingegen noch besser gelingen muss: Die hervorragenden Entwicklungs- und Karrierechancen der dualen Ausbildung bekannt und verständlich zu machen. Der Weg ins Studium ist für viele junge Menschen erstrebenswert, aber daneben gibt es auch viele attraktive und anspruchsvolle Ausbildungsberufe mit guten Einkommensperspektiven, die durchaus konkurrenzfähig zu denen von Bachelorstudenten sind. Und mit einem dualen Studium sogar eine Mischung beider Welten.
Sie sprechen sicher auch mit vielen Arbeitgeber:innen in NRW. Haben Sie das Gefühl, dass die Unternehmen genug machen, um für sich als Ausbildungsanbieter zu werben?
Das Engagement der Betriebe ist noch einmal deutlich gestiegen. Auch früher war den Unternehmen die Ausbildung wichtig und es wurde einiges darin investiert. Doch das zieht immer weiter an. Einige Branchen haben den Rückgang der Bewerber:innen früher gemerkt und ihre Aktivitäten schon ausgebaut. Andere ziehen jetzt, nach dem Abebben der pandemiebedingten Einschränkungen, nach. Dabei gibt es aber nicht die Arbeitgeber. Große Konzerne starten andere Aktivitäten als ein Handwerksbetrieb vor Ort. Interessant ist doch, dass durch die Öffnung der Betriebe für Bewerberinnen und Bewerber auch die aktuellen Einflüsse durch die Digitalisierung bekannter werden und wie sehr sich die Arbeitswelt und ihre Berufe dadurch ändert.
Worauf setzen Sie vor allem, wenn es darum geht, junge Menschen und Unternehmen wieder besser zusammenzubringen?
Praktika, Praktika, Praktika. Diese sind in den letzten beiden Jahren leider oft der Pandemie zum Opfer gefallen. Junge Menschen treffen mit der Ausbildung häufig ihre erste große Lebensentscheidung. Da gibt ein Praktikum Entscheidungssicherheit. Und für Unternehmen gilt umgekehrt im Prinzip das gleiche. Wir beraten Betriebe daher dahin, nicht nur Ausbildungsstellen anzubieten, sondern auch ein Praktikum. Für Unternehmen ist das auch deshalb sinnvoll, da sie so die Gelegenheit bekommen, Talente kennen zu lernen, die auf dem Papier, also etwa dem Zeugnis, nicht so gut zu erkennen sind. Wir begrüßen es, dass Unternehmen diesem Kennenlernen immer häufiger den Vorzug geben wollen. Und wenn die junge Frau oder der junge Mann gut ins Unternehmen passt, unterstützen wir als Agenturen für Arbeit beide Seiten im Fall, dass es einmal schwieriger werden sollte, sehr gerne mit einer zugeschnittenen Förderung, damit die Ausbildung auch ein Erfolg wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schmiedeke!