BERUFSORIENTIERUNG Standpunkt Uta Glaubitz „Frankensteining“ Möglichst viele Qualifikationen anzuhäufen, sei keine Berufsplanung, sagt die Berufsberaterin und Autorin Uta Glaubitz. In ihrer Kolumne für BO[plus] schreibt sie über klare Entscheidungen bei der Berufswahl – und über das Gegenteil, das „Frankensteining“. © B. Prächt Im Urlaub lässt man sich treiben - und landet unversehens im Paradies, so sagt man. Im Beruf aber landet man ohne Plan in der Hölle: Nach der Schule eine Weltreise, ein biss- chen gejobbt, zwei Ausbildungen angefangen, dann stu- diert, mittendrin Studienwechsel und noch ein paar Kurse: Projektmanagement, Englisch, Chinesisch (so wichtig!), Präsentation und Bewerben. Vor lauter Stress bucht man einen Workshop „Burnout-Prävention“ hinterher. Und der Lebenslauf sieht aus wie Frankensteins Vita. Um wieder runterzukommen, absolviert man ein Freiwilli- ges Ökologisches Jahr auf dem Bauernhof (Ich spreche im Geiste schon mit „Aber wie man die Tiere da behandelt hat, das hat mir nicht so gefallen….“). Noch ein paar Wochen als Springer im Start-up, dann gelernt für den Medizinertest, dann ein Burnout. Mit 30 Jahren ist man fix und fertig und hat immer noch keinen passenden Beruf. Das ist schlecht für die Volkswirtschaft, die ohne Nach- wuchs zusammenbricht. Noch schlimmer aber ist es für den jungen Menschen, der es nicht schafft, sich eine Zu- kunft zu bauen. Der es nicht schafft, etwas aus sich zu ma- chen – außer einem Bachelor in Allesundnichtsologie mit Auslandserfahrung und psychischem Knacks. Die Berufsentscheidung ist Le- bensgestaltung. Sie beeinflusst alles: Die Bücher, die man liest, die Themen, mit denen man sich beschäf- tigt und auf die man angesprochen wird, die Leute, die man trifft, den Lifestyle, das Netzwerk - kurz: Wer man ist, wie man dasteht, was man größtenteils macht. Daraus folgt: Möglichst viele Qualifikationen anzuhäufen und dann mit einem rosa Fädchen zusammenhäkeln zu wollen, ist nicht so eine Art Berufsplanung, sondern das Gegenteil, nämlich Frankensteining. Je mehr man fran- kensteint, desto schlimmer wird’s. Ein beruflicher Plan setzt eine Entscheidung voraus: „Ich werde Bootsbauer“ oder „Ich werde Psychoanalytiker“. Dann erst ergeben Ausbildung, Studium, Praktikum und so weiter einen Sinn. Zur Illustration: Wer Kameramann werden will, braucht kein Praktikum beim Physiotherapeuten, son- dern beim Norddeutschen Rundfunk. Wer Fluglotse werden will, braucht nicht BWL zu studieren, sondern muss sich auf den Test der Deutschen Flugsicherung vorbereiten. Wer Schauspieler werden will, sollte Gesangsstunden nehmen statt auf der Alm Käse zu rühren. Als besonders begabter Student der Universität Ingolstadt wollte der 17jährige Schweizer Victor Frankenstein einen künstlichen Menschen erschaffen. Was seine Professoren der Naturwissenschaften ablehnten. Doch Victor folgt Ge- fühl und Impuls: Er besorgt das Material, schlampt bei der Zusammensetzung und kreiert so ein Monster. Am Ende stirbt es einsam auf einem Scheiterhaufen im arktischen Eis. Heute benutzt man den Namen des Schöpfers auch für monströs kombinierte Projekte, Websites, Outfits und eben Berufspläne. Und zum Schluss: Ausbildung, Studium, Praktikum sind kei- ne Werkzeuge der Herzensbildung, des Inner Searchings oder der Überwindung persönlicher psychischer Probleme. Obwohl mindestens den Studenten der Psychologie und Philosophie genau dieser Ruf anhaftet. Für die Herzensbil- dung sind Familie und Freunde zuständig. Wer nachlegen will, findet in Hobby, Ehrenamt und Lieblingsprojekt aus- reichend Raum für Entwicklung. Wenn er nicht ständig mit dem Zusammenmonstern von angeblich an- gesagten Qualifikationen beschäftigt ist. Natürlich ist die Absicht hinter der Rumschrauberitis und Auf- türmerei immer positiv (oder ganzheitlich oder divers). Doch niemand kann ein Drittel Förster, ein Drittel Sternekoch und ein Drittel Spitzenjurist sein. Alle drei Berufe setzen Hingabe und eine kristallklare Entscheidung voraus. Nichts wird bes- ser, wenn man noch einen Auslandsaufenthalt auf Bali und eine Yogalehrerausbildung draufsetzt. Im Gegenteil: Man demonstriert damit, dass man zwar busy ist, aber unfähig, seinem (Berufs-)Leben eine Richtung zu geben. Uta Glaubitz ist Berufsberaterin und Autorin des Longsellers „Der Job, der zu mir passt“ (Campus) und des Hörbuchs „Berufsfindung und Philosophie“ (Spotify). www.berufsfindung.de Podcast: Berufsfindung & Philosophie Denn es ist ja nicht nur die wirtschaftliche Grundlage, die sich ein junger Mensch durch seine Berufsentscheidung schafft. Diesen Text finden Sie auch online! berufsorientierung-plus.de/2-24-uta-glaubitz 13